Kaum eine Sportart scheint auf den ersten Blick so simpel zu sein wie das Radfahren, da die Bewegungsabläufe von außen zunächst so einfach aussehen. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, dass kaum eine Sportart so komplex ist wie der Radsport oder die Radstrecke beim Triathlon.
Das betrifft hauptsächlich die Trittfrequenz; denn es gibt viele Untersuchungen, die meist zu dem Schluss kommen, dass vor allem hohe Trittfrequenzen energetisch günstig sind. Dennis Sandig beschreibt die Hintergründe und die wissenschaftlichen Ergebnisse dazu und erklärt, warum Dein Gefühl nicht immer die beste Entscheidung bei der Wahl Deiner Trittfrequenz trifft.
Die Trittfrequenz macht den Unterschied
Immer wieder gibt es erfolgreiche Sportler, die mit niedrigen Trittfrequenzen auffallen. Jan Ullrich ist dafür ein bekanntes Beispiel aus dem Radsport, Frank Vytrisal aus dem Triathlon. Wenn Sie sich an den großen Zweikampf bei der Tour de France zwischen Lance Armstrong und Jan Ullrich erinnern, werden Ihnen sicher auch die unterschiedlichen Fahrstile der Athleten noch gegenwärtig sein. Während der eine mit sehr langsamen Umdrehungen unterwegs war, bevorzugte der andere hohe Trittfrequenzen mit flüssigen Bewegungen – und gewann. Wer schneller tritt, gewinnt, könnte also die einfache Erklärung dafür sein. Die physikalischen und physiologischen Auslegungen lassen aber erst einmal diese Schlussfolgerung zu: Wer schneller tritt, ist vorne.
Betrachtet man nur eine einzige Kurbelumdrehung, wären eigentlich die langsamen Umdrehungen zu bevorzugen. Dann wäre eine Trittfrequenz von nur 60 Umdrehungen pro Minute die wohl effizienteste Trittgeschwindigkeit, da hierbei der Wirkungsgrad der Muskulatur am größten ist. Das spiegelt sich auch häufig in den kleineren Umdrehungszahlen der Sportanfänger wider, die meist niedrige Trittfrequenzen bevorzugen. Allerdings besteht das Radfahren zu einem größeren Teil aus einer höheren Kadenz als der eben angedachten einen Umdrehung. Das liegt daran, dass auf dem Rad erst eine Aneinanderreihung unzähliger Tretzyklen das Vorankommen ermöglicht. Verschiedene Gründe sprechen dafür, dass eine hohe Umdrehungszahl Ihnen auf dem Renn- oder Triathlonrad viel mehr Vorteile bringt als niedrige Kadenzen.
Verbesserung Deiner Leistung
Die Leistung, die sich bei Deinen Tretbewegungen ergibt, errechnet sich aus der physikalischen Formel von Arbeit pro Zeit. Dabei bestimmt also nicht allein die Kraft, die auf das Pedal gebracht wird, wie schnell ein Radler ist. Erst die Kombination mit der Geschwindigkeit des Pedals gibt die ursächliche Erklärung. Bei einer höheren Umdrehungszahl legst Du mit dem Fuß auch einen längeren Weg zurück. Das bedeutet, dass Du, wenn Du dieselbe Kraft auf Dein Pedal bringst, eine größere Geschwindigkeit erreichst.
Bessere Blutzirkulation in der Muskulatur
Bei hohen Trittfrequenzen sind die Phasen der Anspannung kürzer, so dass der Blutfluss innerhalb eines Muskels nur kurz gestört ist. Während einer Kontraktion werden die Blutgefäße komprimiert und die Zirkulation des Blutes behindert. Die ist aber für den Sauerstoff- und Nährstofftransport wichtig. Auch die Stoffwechselzwischenprodukte wie z. B. das Laktat werden über einen guten Blutfluss besser abtransportiert.
Effizientere Verteilung der Belastung
Eine Studie zeigte, dass sich der Anteil der genutzten langsamen Muskelfasern bei einer gegebenen Geschwindigkeit und einer Kadenz von 50 nicht von dem bei 100 Umdrehungen pro Minute unterscheidet. Bei der niedrigeren Trittfrequenz wurden aber zusätzlich Muskelfasern, die den „schnell zuckenden“ Fasern zugeordnet werden, rekrutiert. Diese Fasern produzieren in höherem Maße Laktat, so dass aus derselben Geschwindigkeit mehr Ermüdung resultieren kann.(1)
Welche Trittfrequenz ist optimal?
Im Rahmen verschiedener Studien aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Frage nach der optimalen Trittfrequenz recht häufig untersucht. Dabei deutete es sich an, dass die optimale Trittfrequenz – bezogen auf die Leistung – bei 100–110 Umdrehungen pro Minute liegt. Vor allem wird in diesem Zusammenhang auf den optimalen biologischen und physikalischen Wirkungsgrad verwiesen. Die Durchblutung und die Sauerstoffaufnahme sollen in diesem Bereich ebenso gut sein wie das Verhältnis von Kraft zu Weg. Es zeigt sich, dass diese Umdrehungszahlen bei den Profis sehr verbreitet sind.
Bei den Triathleten sieht die Verteilung allerdings etwas anders aus, da bei ihnen eher niedrigere Trittfrequenzen zu beobachten sind. Argumentiert wird dabei häufig mit dem Sauerstoffverbrauch. So konnte eine Studie Anfang der 90er Jahre zeigen, dass bei niedrigeren Trittfrequenzen der Sauerstoffverbrauch tatsächlich geringer war, als bei einer höheren Kadenz. Allerdings bestanden die Teilnehmer dieser Studie aus Radfahrern, Triathleten und Läufern.(2) Da Läufer das Radfahren nicht gewohnt sind, ist davon auszugehen, dass sie eher niedrige Frequenzen bevorzugen. Gerade Radfahreinsteiger wählen eher die unteren Drehzahlbereiche. Dass jeweils unterschiedliche Trittfrequenzen aufgrund der gewohnten Belastungsfrequenzen auftreten, kann also mit Lerneffekten erklärt werden und nicht mit der effektivsten Frequenz. Diese Vermutung wird gestützt durch die ermittelte beste Frequenz, die bei rund 65 Umdrehungen pro Minute lag und sich mit dem eingangs erwähnten optimalen Wirkungsgrad deckt. Ein Argument für niedrige Trittfrequenzen ist diese Studie also nicht!
Wähle Deine Trittfreuqenz mit Köpfchen
Wenn man nun gemeinhin annehmen könnte, dass die hohen Trittfrequenzen auf jeden Fall bei längeren Distanzen wegen der geringeren Muskelbelastung dem Fahrer einen Vorteil bringen, sieht die Wahrheit doch etwas komplexer aus: Auch wenn Du davon ausgehen kannst, dass Umdrehungen um die 100/min ein guter Wert sind, spielt neben der Streckenlänge auch das Profil eine wichtige Rolle. Unklar ist außerdem, wo die individuellen Grenzen für eine „hohe“ Geschwindigkeit liegen könnten. Einzelbeispiele von erfolgreichen Athleten, die die Rennen mit niedrigen Kadenzen gewinnen, zeigen vor allem eins: Die individuellen Voraussetzungen sind nicht zu vernachlässigen! Jan Ullrich konnte keine höheren Trittfrequenzen fahren und hat nach Tests angegeben, dass er sich unwohl fühle.
Trotzdem kann man Dir als Freizeitsportler empfehlen, es mit höheren Trittfrequenzen zu versuchen. Entsprechende Trainingsabschnitte mit Variationen lassen sich unkompliziert in Dein normales Training integrieren. Das kannst Du an einer Steigung ebenso einbauen wie in der Ebene. Auch für Berganfahrten gilt, dass Du von höheren Trittfrequenzen profitierst. Je steiler der Berg jedoch ist, desto langsamer kannst Du pedalieren. Fahre bergauf nicht durchgängig im Sitzen, sondern fahre auch mal im Wiegetritt. Insgesamt solltest Du auf jeden Fall darauf achten, höhere Trittfrequenzen in Dein Training einzubauen. Auch wenn das Gefühl Dir mal vorgaukelt, dass niedrigere Umdrehungszahlen angenehmer seien, solltest Du Dich davon nicht täuschen lassen. Gewöhne Dich an die hohen Frequenzen, und setze diese gezielt ein – mit Köpfchen gewählt bringt Dir das entscheidende Vorteile.
Lerne Perdalieren!
Mit hohen Trittfrequenzen zu fahren will gelernt sein. Du musst Dir die motorischen Grundlagen erarbeiten, um die Empfehlungen umsetzen zu können. Wenn Du es gewohnt bist, mit niedrigen Trittfrequenzen zu fahren, fällt Dir ein Umstieg erst einmal etwas schwerer. Das liegt daran, dass sich die motorische Steuerung an die Bewegungsfrequenzen gewöhnen muss. Auch Deine Rumpfmuskulatur muss erst entsprechend vorbereitet werden, um sich gegen die hohe Trittfrequenz stabil halten zu können. Vor allem spezielle Übungen helfen Dir dabei, sich an die Pedalgeschwindigkeiten zu gewöhnen.
Das Spinning
Mit dem Spinningtraining kannst Du vorrangig im Winter das Fahren mit hohen Trittfrequenzen üben. Über die Schwungscheiben und den einstellbaren Widerstand lässt sich eine hohe Kadenz wählen. Versuche, hohe Frequenzen über Minutenintervalle einzuhalten. Auch in den Spinningkursen werden solche Phasen oft eingelegt.
Hohe Trittfrequenzen
Baue Dir in Deine Grundlageneinheiten Trittfrequenzpyramiden ein. Dabei wechseln sich Phasen mit hohen Umdrehungsgeschwindigkeiten mit solchen bewussten Tretens bei großen Gängen ab. Versuche, möglichst gleichmäßig zu treten.
Einbeiniges Fahren
Auf einem Ergometer, einer Rolle oder auch während einer Ausfahrt kannst Du 1–3 Serien mit 4–6 Wiederholungen à 30 Sekunden einbeinigen Fahrens einbauen. Während dieser Phasen trittst Du ganz gleichmäßig und versuchst, die Zugphase am Pedal gezielt umzusetzen.
Welche Rolle spielt die Kurbellänge?
Auch die Länge der Kurbeln hat einen Einfluss auf die Trittfrequenz und die Leistung. Dabei ist die optimale Länge auch von der jeweiligen Körpergröße abhängig. Vor allem von den Profis werden längere Kurbeln eingesetzt, da diese als Hebel die Kraftentfaltung unterstützen. Grundsätzlich sind aber höhere Trittfrequenzen eher mit kürzeren Kurbelarmen erreichbar. Für die Kraftentfaltung spielt die Länge der Arme eine wichtige Rolle, da aufgrund der Hebelgesetze die eingesetzte Kraft abnimmt, wenn die Kurbeln lang sind. Je nach Körpergröße sind also die Standardlängen zwischen 170 und 175 mm für die meisten Sportler ausreichend. Mit zu kurzen Kurbeln könntest Du zwar schnell treten, bist aber nicht mehr in der Lage, Deine Kraft optimal zu entfalten. Dieses Verhältnis kehrt sich bei zu langen Hebeln ins Gegenteil um!
Triathleten ticken anders!
In Bezug auf den Triathlon existieren unterschiedliche Meinungen und Studienergebnisse zum optimalen Treten. Gerade die schwierige Tatsache, dass im Anschluss an den Radpart auch noch ein Lauf absolviert werden muss, wirft Fragen auf. Dabei gilt, dass die Radstrecke als Zubringerleistung für das Laufen zu sehen ist und es umso bedeutsamer für Dich ist, mit möglichst geringer Ermüdung vom Rad abzusteigen. Nur so kannst Du auf der Laufstrecke Deine bestmögliche Leistung abrufen. In erster Linie scheint Deine Laufleistung für das Endergebnis entscheidend zu sein, so dass die Kernfrage lautet: Unter welchen Bedingungen kann Deine Laufleistung am besten gefördert werden? Im Vordergrund der Diskussionen stehen Vermutungen, wonach eine hohe Trittfrequenz auf der Radstrecke auch eine höhere Schrittfrequenz ermöglicht.(3) Das wird damit begründet, dass das über eine längere Zeit ausgeführte Bewegungsmuster auch im Anschluss unbewusst für andere Belastungen übernommen wird.
In der Studie wurden 13 Triathleten in 2 Gruppen eingeteilt, wobei die eine mit niedrigen und die andere mit hohen Trittfrequenzen über 30 Minuten auf einem Ergometer fuhr. Im Anschluss daran wurde ein 3.200-m-Lauf absolviert, bei dem die Athleten, die vorher schnell gekurbelt hatten, auch schneller liefen. Die Laufleistung hing dabei vor allem von der Schrittfrequenz ab, die Schrittlänge blieb unbeeinflusst. Dem stehen Studienergebnisse einer Untersuchung aus dem Jahr 2003 entgegen, bei der in einem ähnlichen Testdesign keinerlei Einflüsse der Trittfrequenz auf die Laufgeschwindigkeit festgestellt werden konnten.(4) Anhand solcher Ergebnisse zeigt sich aber die zu Beginn dieses Beitrags erwähnte Komplexität des Radfahrens. Weitere Untersuchungen könnten Aufschluss über die Hintergründe und die Wirkung der Trittfrequenz auf die Leistung geben. Sie sollten in Ihrem Training auf jeden Fall ein breites Spektrum an Übungen zur Kadenz einbauen.
Trainingstipps:
- Baue Dir Trittfrequenzübungen in Dein Training ein.
- Trittfrequenzwechsel in Pyramidenform schulen Deine Fähigkeit, auch schnell zu drehen.
- Schule Deine Trittgeschwindigkeit durch die regelmäßige Anwendung solcher Methoden.
- Niedrige Trittfrequenzen in Form eines Kraftausdauertrainings solltest Du meiden.
- Nutze eine zu Deiner Körpergröße passende Kurbellänge.
- Schule Deine Trittfrequenz auch beim Rollentraining.
Quellenangaben
- European Journal of Applied Physiology, 1992, Bd. 65, S. 360–365.
- Medicine and Science in Sports and Exercise, 1993, Bd. 25, S. 1269–1274.
- Medicine and Science in Sports and Exercise, 2002, Bd. 34 (9), S. 1518–1522.
- British Journal of Sports Medicine, 2003, Bd. 37 (2). S. 154–158.
Fachsprache
- Trittfrequenz – beschreibt die Geschwindigkeit, mit der das Pedal und die Kurbel bewegt werden. Einheit = Umdrehungen/ Minute
- Kurbellänge – Die Standardlängen der Kurbel sind 170, 172,5, 175 und 180 mm. Je nach Körpergröße ist die richtige Länge zu wählen
Bildnachweise: © Fuse – Fotolia.com / Kzenon, ramonespelt – AdobeStock / Jörg Birkel / Wahoo