Ein Radsportler plaudert aus dem Lenker
Als begeisterte Speiche im großen Getriebe des Straßenverkehrs, möchte ich, ein gestandener Radsportler, euch auf eine Tour de Force mitnehmen. Nicht durch Frankreich, oh nein, sondern durch die weit gefährlicheren Straßen unserer Städte. Hier, wo das Gesetz des Dschungels in Blech und Beton gegossen ist, habe ich die absurdsten, manchmal haarsträubenden Begegnungen mit der Spezies „Autofahrer“ erlebt. Schnallt euch an – oder besser gesagt, setzt eure Helme auf – wir treten in die Pedale!
Der Schleicher
Mein erster Gegenspieler war „Der Schleicher“. Er bewegte sich so langsam durch die Straßen, dass selbst Schnecken an ihm vorbeizogen, um ihn zu überholen. Ich schwöre, ich sah eine Schnecke mit einem triumphierenden Blick auf ihrem Gesicht, als sie ihn passierte. Jedes Mal, wenn ich versuchte, an diesem motorisierten Faultier vorbeizukommen, zog er leicht nach rechts oder links, als würde er von unsichtbaren Schlangenlinien geführt. Es war ein Tanz, eine Choreografie des Zögerns. Ein Ballett, bei dem nur einer von uns wusste, dass er tanzt.
Der Rasende Roland
Kaum hatte ich den Schleicher hinter mir gelassen, traf ich auf den entgegengesetzten Extremfall: „Der Rasende Roland“. Dieser Ritter der Raserei hatte es eilig, sehr eilig. So eilig, dass die Zeit selbst sagte: „Hey Kumpel, langsamer!“ Wenn der Schleicher ein Faultier war, dann war Roland ein Gepard auf Koffein. Er zischte an mir vorbei, mit einem Tempo, das die Haare unter meinem aerodynamischen Helm nach hinten wehten. Für einen Moment dachte ich, er würde die Schallmauer durchbrechen. Einziges Problem: Wir befanden uns in einer 30er-Zone.
Der Spontane Sprinter
Ein besonderer Höhepunkt ist auch der „Spontane Sprinter“. Du erkennst ihn daran, dass er an jeder roten Ampel neben dir auftaucht, bereit, beim Umspringen auf Grün eine Beschleunigung hinzulegen, die Sebastian Vettel blass aussehen lässt. Dass du als Radsportler bereits seit fünf Blocks die gleiche Geschwindigkeit hältst und nicht im Geringsten daran interessiert bist, an einem illegalen Stadtrennen teilzunehmen, kümmert ihn wenig. Es geht ums Prinzip. Und um die Ehre.
Der Sport-Kommentator
Diese Spezies verwendet ihr Fahrzeug als mobile Tribüne, um Radsportler mit lebenswichtigen Kommentaren zu versorgen. „Fahr auf dem Radweg!“, „Verschwinde von der Straße!“ und „Verpiss dich!“ sind nur einige der motivierenden Zurufe, die mich an meinen Platz in der Nahrungskette erinnern. Ironischerweise immer dann, wenn kein Radweg in Sicht ist oder der besagte Radweg mehr Hindernissen gleicht wie auf einer Parcour-Weltmeisterschaft.
Der Texter
Dann gibt es noch „Den Texter“, ein Exemplar der modernen Autofahrer, dessen Smartphone scheinbar mit der Hand verwachsen ist. Dieser visionäre Fahrer navigiert durch den Verkehr mit der Grazie eines Nashorns auf einem Skateboard, während seine Augen fest auf den Bildschirm geheftet sind. Ich frage mich, ob seine App ihm auch sagen konnte, dass ein Radfahrer direkt neben ihm ist, bereit, Teil seiner nächsten Textnachricht zu werden.
Der Blinde Fleck Meister
Kurze Zeit später begegnete ich dem „Blinden Fleck Meister“. Einem Autofahrer, der fest davon überzeugt ist, dass, wenn er dich nicht sehen kann, du auch nicht existierst. Dieser Magier der Straße vollführt das Kunststück, dich im Kreisverkehr verschwinden zu lassen, nur indem er seinen Kopf starr geradeaus richtet. Ein Schwenk des Zauberstabes (auch bekannt als Blinker), und schwups, war da überhaupt je ein Radfahrer?
Der Parkplatzphilosoph
Der „Parkplatzphilosoph“ hingegen, ist ein Denker tiefer Gedanken, wie: „Ist ein Fahrradweg nicht auch nur ein metaphorischer Parkplatz?“ Seine bevorzugten Orte zum Innehalten und Reflektieren sind zweifellos Radwege. Beim sanften Schließen seiner Fahrzeugtür, kurz nachdem er halb auf dem Radweg geparkt hat, murmelt er leise: „Wenn ein Radfahrer stürzt und niemand ist da, um es zu hören, macht es dann überhaupt ein Geräusch?“
Der Hup-Symphoniker
Ein wahrer Virtuose der Straße ist der „Hup-Symphoniker“. Ein Maestro, der aus seinem Lenkrad eine ganze Palette von Emotionen herausholen kann. Von „sanftem Nudge“ bis „apokalyptischem Zorn“ reicht sein Repertoire. Er betrachtet die Straße als seine Bühne, den Verkehr als sein Orchester und den Hupknopf als seinen Taktstock. Radfahrer wie ich sind dabei lediglich die ungebetenen Solisten, die seinen harmonischen Fluss stören.
Der Wütende Winker
Der „Wütende Winker“ macht seinem Namen alle Ehre. Er kommuniziert ausschließlich durch eine ausgeklügelte Sprache aus Fluchen und Gestikulieren, die selbst die erfahrensten Linguisten vor ein Rätsel stellt. Er scheint zu glauben, dass die Straße ein exklusiver Club ist, und Radsportler wie ich haben definitiv nicht auf der Gästeliste gestanden. Jede Begegnung mit ihm ist wie eine kleine Theatervorführung, in der er die Hauptrolle spielt – natürlich als tragischer Held, der verzweifelt versucht, die Welt vor der Tyrannei der Zweiräder zu retten.
Der Tempelritter des Rechtsabbiegens
Eine besondere Erwähnung verdient der „Tempelritter des Rechtsabbiegens“. Ein Ritter in glänzender Rüstung (oder zumindest glänzendem Lack), dessen heilige Mission es ist, jede rote Ampel als bloße Empfehlung zu betrachten, wenn es darum geht, nach rechts abzubiegen. Seine Lanze? Der Blinker. Sein Ross? Ein SUV. Seine Jungfrau in Nöten? Die Zeit selbst. Sehen wir ihn an der Ampel, ist es Zeit, ein Stoßgebet zu den Schutzheiligen der Fahrradfahrer zu senden.
Der Discjockey
Aber lasst uns nicht die „rollenden Diskotheken“ vergessen, jene, deren Bass so stark ist, dass mein Carbon-Fahrrad im Takt vibriert. Sie bieten mir einen Soundtrack für meine täglichen Eskapaden, eine Mischung aus Beethoven und Techno, die mich daran erinnert, dass Musik tatsächlich verbindet – hauptsächlich mit dem Takt meiner pochenden Schläfen.
Der Übermotivierte Überholer
Der „Übermotivierte Überholer“ ist der Lewis Hamilton der Stadtstraßen. Seine Mission: Jeden so knapp wie möglich überholen, koste es, was es wolle, man soll ja schließlich hautnah erleben, wie glatt poliert der Lack an seinem Fahrzeug ist. Sicherheitsabstände sind für ihn lediglich eine urbane Legende. Mit der Präzision eines Chirurgen und der Entschlossenheit eines Kampfpiloten schneidet er durch den Verkehr, nur um an der nächsten Ampel wieder eingeholt zu werden. Sein Eifer ist bewundernswert, doch frage ich mich, ob er weiß, dass die Tour de France nicht auf dem Weg zur Arbeit gewonnen wird.
Der Pazifistische Anarchist
Zum Schluss, aber nicht weniger bedeutend, der „Pazifistische Anarchist“. Dieser Autofahrer lebt nach dem Motto: „Regeln sind für andere da.“ Stoppschilder, Einbahnstraßen, Geschwindigkeitsbegrenzungen – all das sind für ihn bloße Vorschläge, die er mit einem lässigen Lächeln und einer entspannten Welle ignoriert. Seine Philosophie ist einfach: „Leben und leben lassen“, solange es nicht ihn betrifft, versteht sich.
Der Friedliche Co-Existierer
Unter all diesen Charakteren gibt es jedoch auch den „Friedlichen Co-Existierer“. Er erkennt, dass die Straße groß genug für uns alle ist, teilt sie großzügig und wenn er uns Radfahrer überholt, lässt er ausreichend Platz. Er winkt freundlich, lächelt und erinnert uns daran, dass ein harmonisches Miteinander möglich ist. In seinen Augen bin ich nicht der Feind auf zwei Rädern, sondern ein Mitreisender auf dem Weg durch den urbanen Dschungel.
Epilog
Liebe Mitradlerinnen und Mitradler, während wir lachen und den Kopf schütteln über diese kuriosen Charaktere, ist es wichtig zu erinnern, dass das Zusammenleben auf unseren Straßen ein Balanceakt ist. Ein Tanz, bei dem Respekt die Musik ist, die uns alle zusammenführt. Also, egal ob ihr auf zwei Rädern, vier Rädern oder auch auf Füßen unterwegs seid, lasst uns alle ein wenig freundlicher, ein wenig aufmerksamer sein. Denn am Ende des Tages wollen wir alle nur sicher nach Hause kommen – selbst der Hup-Symphoniker.