Das Cyclassics-Wochenende stand in Hamburg u.a. ganz im Zeichen des Jedermannrennens und natürlich auch dem Profiradsport. 168 Fahrer von insgesamt 21 World-Tour- und Pro-Continental-Teams starteten zur 21. Auflage des einzigen deutschen WorldTour-Rennens: den EuroEyes Cyclassics.

Insgesamt 217,7 km mussten die Profis – bei denen mit André Greipel, Marcel Kittel, John Degenkolb, Nacer Bouhanni, Alexander Kristoff und Caleb Ewan die nahezu vollständige Weltelite der Sprinter am Start stand – bewältigen. Zu überwinden war dabei im Finale des Rennens drei Mal der legendäre Waseberg, bevor es über die Elbchaussee und Reeperbahn ins Ziel auf der Mönckebergstraße ging.

Jüngster Österreichischer Staatsmeister und Etappensieger der Österreich-Tour

Bei den Profis am Start war auch der Österreicher Lukas Pöstlberger vom Team BORA-Argon 18, mit dem wir von STAPS seit mittlerweile drei Jahren zusammenarbeiten. Lukas sammelte seine ersten großen radsportlichen Palmarès bei Österreichs Talentschmiede Nummer eins, dem Tirol Cycling Team, welches wir auch seit vielen Jahren betreuen. Nach dem Lukas 2012 jüngsterÖsterreichischer Staatsmeister auf der Straße werden konnte, überzeugte er auch in den nachfolgenden Jahren immer wieder mit wichtigen Siegen bei Eintagesrennen und Rundfahrten. Der endgültige Durchbruch gelang dem 24-jährigen Oberösterreicher dann im vergangenen Jahr, als er neben der Gesamtwertung der Irland-Rundfahrt auch eine Etappe der Internationalen Österreich-Rundfahrt gewinnen konnte. Der verdiente Lohn: ein Profivertrag beim deutschen Pro-Continental-Team BORA-Argon 18.

Den Abstecher nach Hamburg nutze Lukas am Vortag des Rennens, um sich in unserem Institut in Hamburg-Altona einem Formcheck auf dem Ergometer zu unterziehen. Der Test war wichtig, um zu erfassen, wie sich seine aktuelle Leistungsfähigkeit zusammensetzt und an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um Lukas im nächsten Jahr in der WorldTour (BORA-Argon 18 wird zu BORA-hansgrohe und erhält voraussichtlich eine WT-Lizenz) zu etablieren. Exklusiv für euch geben wir einen kleinen Einblick in die Physiologie eines zukünftigen World-Tour-Fahrers.

Wenige Prozente, die (noch) den Unterschied machen

Lukas aktuelles Kampfgewicht liegt bei 70 Kilogramm. Mit einem Körperfettanteil von knapp 8 Prozent liegt er dabei voll im Soll. Die Diagnostik vom Wochenende hat aufgezeigt, dass es in puncto Körpergewicht beziehungsweise Körperfettanteil bei ihm etwas Potential gibt, welches allerdings gering und vor allem vom Saisonzeitpunkt abhängig ist. Das individuelle Optimum von ca. 68,5 bis 69 Kilogramm Körpergewicht und 7- bis 7,5 Prozent Körperfett haben wir für die Saisonhöhepunkte in 2017 ins Auge gefasst.

Als Radprofi mit dem Fokus auf Frühjahrsklassiker und mittelschweren Eintagesrennen ist Lukas physiologisches Profils relativ gut zu definieren: Neben einer eher geringen maximalen Laktatbildungsrate (VLamax) sollte der BORA-Argon 18-Profi möglichst viel Sauerstoff aufnehmen und verarbeiten können; demnach eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) haben. Beide Punkte vereint Lukas, diese physiologischen Stoffwechselparameter lassen sich aber noch feintunen. Mit einer maximalen Laktatbildungsrate von 0,40 mmol/l/s besitzt er die Fähigkeit, hohe Dauerleistungen treten zu können; die VLamax ist aber gleichzeitig noch so „hoch“, dass Lukas immer wieder in der Lage ist, erfolgreiche Attacken zu lancieren oder über Pavé-Abschnitte bei den Klassikern mit kurzfristig hohen Leistungen „drüber zu drücken“. Im maximalen Zustand bringt er die Fähigkeit mit, 5.700 ml/min (also 81,2 ml/min/kg) aufzunehmen. Aus der Sicht eines Hobby- oder Amateursportlers ist eine VO2max von 81,2 ml/min/kg sicherlich beträchtlich. Um sich zukünftig in der WorldTour zu etablieren gilt es für Lukas allerdings hier noch 3 bis 5 Prozent zuzulegen – eine VO2max von über 80 ml/min/kg sind in der WorldTour „Standard“.

Aktuell liegt die Schwellenleistung des jungen Österreichers bei 395 Watt. Gepaart mit seinen großen technischen wie taktischen Fähigkeiten sind die Voraussetzungen für einen Start in der WorldTour für 2017 gegeben. Sich dort aber dauerhaft durchzusetzen, wird auch für Lukas ein hartes Stück täglicher Trainingsarbeit, die wir gemeinsam mit ihm angehen.

A long day in the office – bis 300 Meter vor Ziel in der Spitzengruppe

Nach der Diagnostik am Samstag stand auch „Pösti“ am Sonntag bei der 21. Auflage der Cyclassics am Start. Das Rennen begann für ihn turbulent: Bereits nach wenigen Kilometern konnte er sich gemeinsam vom Feld lösen und bildete mit sechs weiteren Fahrern die Spitzengruppe des Tages. Diese auf drei Fahrer geschrumpfte Spitzengruppe – die von den Sprinter-Teams unterschätzt wurde – konnte bis 300 m vor dem Zielstrich auf der Mönckebergstraße ihre Führung behaupten. Erst im echten Finale konnten Lukas und die zwei verbliebenen Mitstreiter des „Tete de la Course“ gestellt werden, bevor sich dann Caleb Ewan (Orica-Bikeexchange) im Massensprint durchsetzte. Für Pösti ein ärgerlicher Ausgang des Rennens, gleichzeitig aber eine tolle Vorstellung, bei der der 24-Jährige sehr positiv auf sich aufmerksam machen konnte.

Leistungsdaten eines Radsportler

Waseberg – 3 Runden

Dass die 217,7 km ihm in der Führung einiges abverlangten, zeigen seine Leistungsdaten. Insgesamt 4:54 Stunden mit einem Schnitt von 43km/h verbrachte Lukas bei den Cyclassics im Sattel. Da er in der Spitzengruppe viel arbeiten musste, zeigte der Leistungsmesser am Ende durchschnittlich 277 Watt. Der Energieverbrauch lag bei fast 5.000 Kilokalorien (kcal)– demnach satte 1.000 kcal/ Stunde.

Den 500 Meter langen Waseberg, der während der letzten 40 Kilometer drei Mal überquert werden musste, bezwang Pösti jeweils unterhalb von zwei Minuten mit durchschnittlichen Leistungswerten von 468, 519 und 457 Watt. Genug Leistung, um gerade auf den letzten Runden die Spitzengruppe maßgeblich zu verkleinern.

Dass Lukas im Finale alles versucht hat, um das jagende Peloton auf Distanz zu halten, zeigt die Auswertung seiner letzten zehn Rennkilometer. Mit sehr wechselhaften Belastungen (Ablösungen in der Gruppe) und häufig wiederkehrenden Spitzen jenseits der 400 Watt wehrte er sich gegen das herannahende Feld. Der Leistungsmesser zeigte in diesem Abschnitt durchschnittlich Werte von über 370 Watt an – aufgrund der häufigen Belastungswechsel sicherlich harte 10 Kilometer, auf denen Lukas und seine Mitstreiter den Teams von Giant-Alpecin, Lotto-Soudal und Etixx-Quickstep einiges abverlangten.

Leistungsdaten eines Radsportlers

Elbchaussee – Reeperbahn – Mönckebergstraße

Am Ende wurde er leider 300 Meter vor dem Ziel gestellt. Wir hätten Lukas das Podium in Hamburg natürlich sehr gegönnt, freuen uns aber auch mit ihm über einen sensationellen Auftritt!

Leistungsdaten eines Radsportler
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BJÖRN GEESMANN
Björn ist Geschäftsführer des Instituts STAPS und betreut neben einigen Profisportlern auch Amateur- und Hobbysportler bei STAPS. Der Experte für Ultra-Ausdauerbelastungen ist u.a. Team-Trainer des Tirol Cycling Teams und selber leidenschaftlicher Radfahrer. Björn beendete sein Studium des Master of Science „Exercise Science and Coaching“ 2012 an der Deutschen Sporthochschule in Köln (Abschlussnote: 1,5). Er schrieb seine Masterarbeit über physiologische Auswirkungen einer Ultra-Ausdauerbelastung und promoviert seit 2013 zur „Energetik bei Ultra-Ausdauerbelastungen“. Er ist seit 2008 im STAPS-Team und betreute seitdem über 250 Sportler persönlich. Größte Erfolge als Trainer: Deutscher Meister Straße (2015) und Zeitfahren (2016) mit Trixi Worrack, Platz 5 & 10 der Solo-Kategorie beim RAAM 2014 (Stefan Schlegel & Guido Löhr), Sieg und Streckenrekord im 2er-Team beim RAAM 2014 (Heinemann XP-Team), Ironman-Europameister und Ironman-Weltmeister ( AK 30-34) in 2013 sowie Platz 3. der Profi-Wertung beim Ironman Mallorca 2014 mit Astrid Ganzow, über 15 WM-Qualifikationen auf der Ironman und 70.3.-Distanz, zahlreiche Erfolge mit dem Tirol Cycling Team.