Was Kraftsportler schon lange wissen, drängt mittlerweile auch verstärkt ins Bewusstsein von Ausdauersportlern: Proteine sind wichtig für den Muskelaufbau, -erhalt und die Regeneration. Doch wie viel Eiweiß braucht ein Sportler eigentlich?

Fachmagazine, Blogs und Foren sind voll mit den unterschiedlichsten Angaben. Die Empfehlungen für den täglichen Proteinbedarf liegen zwischen 1 und über 3 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Häufig können die Empfehlungen der jeweiligen Autoren aber nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werden.

Im Bodybuilding kursieren Ratschläge von bis zu 3-4 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht, doch auch für Ausdauersportler liest man immer häufiger, dass man ruhig bis zu 2,5 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht am Tag essen solle. Ich versuche das mal in Relation zu setzen:

Ein 70 Kilogramm schwerer Radfahrer müsste demnach täglich bis zu 175 Gramm Proteine aufnehmen. Das ist eine ganze Menge Eiweiß, was es da über den Tag verteilt zu konsumieren gilt.

Proteine und Eiweiss im Radsport

Schauen wir uns erstmal an, welchen Menge an natürlichen Lebensmittel auf den Teller müssen, um auf 175 Gramm Eiweiß zu kommen:

Ein Hühnerei liefert beispielsweise etwa 7 Gramm Eiweiß, d.h. du müsstest täglich rund 25 Hühnereier essen. Oder alternativ ein mageres Stück Fleisch: Rindfleisch kommt auf etwa 20 Prozent Eiweiß pro 100 Gramm – die nötige Verzehrmenge entspräche also über 800 Gramm Fleisch. Das geht auf Dauer ganz schön auf den Geldbeutel.

Eine preiswertere Alternative sind Milchprodukte: Besonders beliebt ist Magerquark. Mit einem Gehalt von 12 Gramm Proteinen auf 100 Gramm Quark liefert er vergleichsweise viel Eiweiß. Um auf 175 Gramm Eiweiß zu kommen, müsste man am Tag dennoch rund 1,5 Kilogramm Quark verspeisen.

Ich glaube, ihr versteht langsam, worauf diese Beispielrechnungen hinauslaufen: Es ist äußerst fraglich, ob eine so hohe Proteinzufuhr überhaupt sinnvoll ist, geschweige denn, ob sich das im Alltag ohne großen Aufwand umsetzen lässt.

Meines Erachtens ist eine so hohe Verzehrempfehlung deutlich zu hoch gegriffen und lässt sich ohne künstliche Proteinpulver kaum in den Alltag integrieren. Zudem gehen wissenschaftliche Studien von einem deutlich geringeren Tagesbedarf aus.

Dazu habe ich ein weiteres Gedankenspiel:

Ein 80 Kilogramm schwerer Athlet möchte gerne in einem Jahr 10 Kilogramm Muskelmasse aufbauen. Das ist ein sehr ambitioniertes Unterfangen. Tun wir jetzt einfach mal so, als ob wir für den Aufbau von 10 Kilogramm reiner Muskelmasse auch 10 Kilogramm reines Eiweiß aufnehmen müssten. Dann müsste unser Athlet also zusätzlich 10.000 Gramm Eiweiß verteilt auf 365 Tage zu sich nehmen. Daraus ergibt sich ein täglicher Proteinbedarf von 27,4 Gramm nur für den Aufbau dieser Extramasse.

Dabei sollten wir natürlich berücksichtigen, dass Eiweiß im menschlichen Körper auch andere wichtige Funktionen hat. Proteine sind beispielsweise Bestandteile von Haut, Organen, Enzymen und des Immunsystems. Sie bauen neues Gewebe auf, reparieren verletzte Strukturen und sorgen für den Transport von Nährstoffen. Mit anderen Worten: Eiweiße sind lebensnotwendig.

Daher empfehlen Sport- und Ernährungswissenschaftler auch täglich, Eiweiß zu sich zu nehmen. Die allgemeine Empfehlung für Normalbürger liegt bei 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Daraus ergibt sich für unseren Durchschnitts-Athleten mit 80 kg Körpergewicht ein Proteinbedarf von 64 Gramm. Sein Sportpensum ist in dieser Rechnung jedoch noch nicht berücksichtigt. Führen wir also einfach mal beide Eiweißmengen zusammen:

64 Gramm (Grundbedarf) + 27,4 Gramm (Muskelaufbau) = 91,4 Gramm

Das würde bedeuten, dass täglich 91,4 Gramm Eiweiß oder umgerechnet 1,14 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht rechnerisch ausreichen, um die gewünschte Muskelmasse in einem Jahr aufzubauen. 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht ist übrigens auch die konservative Empfehlung für Sportler.

Noch ein paar weiterführende Gedanken

Möglicherweise greift die Überlegung etwas zu kurz, und durch intensiven Sport steigt der Proteinbedarf über unsere Kalkulation. Muskelgewebe unterliegt einem ständigen Auf- und Abbau, und durch intensive Belastungen kommt es zu Verletzungen, die repariert werden müssen. Auch das Immunsystem leidet mitunter und braucht ein Mehr an Eiweißen.

Von daher wird der tägliche Proteinbedarf von Leistungssportlern sicherlich über 1,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht liegen. Tatsächlich gehen aktuelle Studien von 1,5-1,8 Gramm aus. Mehr Eiweiß kann aber wohl nicht mal ein trainierter Körper sinnvoll verwenden, wobei ohnehin nur ein Teil dieser Eiweißmenge in den anabolen Stoffwechsel geht.

Weiterhin muss man bei unserem Gedankenspiel berücksichtigen, dass ein Kilogramm Muskelmasse nicht zu 100 Prozent aus Eiweiß besteht, sondern sogar zu 70 Prozent aus Wasser. Der benötigte Proteinanteil für den Aufbau von 10 Kilogramm Muskelmasse ist also noch viel geringer!

Eiweiß: Weniger ist manchmal mehr

Trotzdem gibt es immer noch Bodybuilder, die am Tag bis zu 4 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen. Könnte der menschliche Körper diese Eiweißmenge tatsächlich komplett in Muskeln umwandeln, wären enorme Gewichtszunahmen in einem Jahr möglich. Zieht man den Grundbedarf ab, bliebe immer noch 3 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht über.

Daraus würde sich ja theoretisch eine Gewichtszunahme von fast 90 Kilogramm im Jahr ergeben: 3 Gramm x 80 (Kilogramm) x 365 Tage = 87,6 Kilogramm. Das ist einfach unmöglich. Selbst 10 Kilogramm Muskelmasseaufbau in einem Jahr sind für einen Durchschnittsathleten schon unrealistisch, zumal ja in dieser Rechnung wieder nicht der Wasseranteil im Muskel berücksichtigt ist.

Aber was passiert mit dem ganzen Eiweiß?

Im günstigsten Fall wird es unverdaut wieder ausgeschieden, weil die Transportwege für Nährstoffe aus dem Darm ins Blut beschränkt sind. Pro Stunde kann immer nur eine bestimmte Menge Eiweiß aufgenommen werden. Grundsätzlich geht man von einem Verdauungsverlust von 10 Prozent aus. Dennoch gelangen über den Tag verteilt mehr Aminosäuren ins Blut, als der Körper für den anabolen Stoffwechsel benötigt. Einfach speichern kann unser Organismus die überschüssigen Proteine leider auch nicht.

Folglich geht ein Teil der Aminosäuren in den katabolen Stoffwechsel und wird in Energie umgewandelt. Das passiert beispielsweise dann, wenn diätbedingt der Kohlenhydratanteil in der Nahrung reduziert wird oder wenn die körpereigenen Kohlenhydratreserven (Glykogen) durch lange Ausdauerbelastungen erschöpft werden.

Allerdings gehört Eiweiß nicht zur bevorzugten Energiequelle bei sportlichen Belastungen. Daher wird nur ein Teil der Aminosäuren in Glukose umgewandelt und verbrannt. Der überwiegende Teil der nicht benötigten Aminosäuren wird hingegen in Fett umgewandelt. Das hat den enormen Vorteil, dass Fett einen Platz sparenden Energiespeicher darstellt.

Ist zu viel Eiweiß ungesund?

Derzeit gibt es keine gesicherten Studien, die eine Gesundheitsgefährdung durch zu viel Eiweiß bei einem gesunden Menschen belegen. Es gibt aber einige Untersuchungen, welche die Vermutung nahelegen, dass die Abbauprodukte des katabolen Eiweißstoffwechsels die Nieren belasten. Von daher sollte man sich tatsächlich überlegen, ob eine übermäßige Aufnahme von Eiweiß sinnvoll ist.

Übrigens, neben der Gesamtmenge ist auch der Zeitpunkt der Eiweißaufnahme für den Muskelaufbau relevant. Studien haben nämlich gezeigt, dass unser Körper nur 25 bis 35 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit verwerten kann. Eine Steigerung der Eiweißmenge hat keinen weiteren positiven Effekt auf Muskelaufbau, Muskelerhalt oder Regeneration. Statt wenigen großen Eiweißportionen solltest du also lieber regelmäßig Proteine zu dir nehmen. Im Idealfall enthält jede Mahlzeit eine kleine Portion Eiweiß. So ist sichergestellt, dass dein Körper über den ganzen Tag gleichmäßig mit Aminosäuren versorgt wird.

Das bringt uns zum letzten Punkt:

Wie bringe ich diese Verzehrempfehlungen mit meiner Ernährungsstrategie in Einklang. Ernährungsexperten wie Dr. Wolfang Feil empfehlen an normalen Tagen etwa 2-3 Hauptmahlzeiten zu sich zu nehmen und lediglich an sehr intensiven Belastungstagen auf zusätzliche Zwischenmahlzeiten zurückzugreifen.

Greifen wir an dieser Stelle noch mal das erste Beispiel auf:

Unser 70 Kilogramm schwerer Radsportler benötigt laut wissenschaftlicher Empfehlung ungefähr 105 Gramm Eiweiß pro Tag (1,5). Kommen die empfohlenen 35 Gramm pro Mahlzeit auf den Teller, wäre der Tagesbedarf bereits über die natürliche Ernährung gedeckt und keine Supplementierung mit Pulver nötig. Selbst bei einem angenommen Bedarf von 1,8 Gramm lässt sich das an intensiven Trainingstagen mit einer zusätzlichen Zwischenmahlzeit vor oder direkt nach dem Training locker bewerkstelligen.

Hier sind noch ein paar Beispiele, wie du auf ca. 30 Gramm Protein pro Mahlzeit kommst:

  • 150gr Rindfleisch
  • 250gr Magerquark
  • 4 Hühnereier
  • 150gr Linsen
  • 150gr Thunfisch
  • 150 Gramm Mandeln
  • 350gr Tofu

Zudem enthalten viele andere Lebensmittel ebenfalls Proteine. Es ist daher anzunehmen, dass ein Sportler, der sich normal ernährt, keinen Proteinmangel zu befürchten hat.

Guten Appetit.

Proteine und Eiweiss im Radsport

Bildnachweis: © a4stockphotos (AdobeStock)

JÖRG BIRKEL
Jörg Birkel lebt und arbeitet seit 2013 auf Mallorca und bietet dort ganzjährig Sportreisen und Trainingslager an. Zuvor hat er an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert und mit einem Diplom als Sportwissenschaftler abgeschlossen. Im Anschluss an sein Studium hat sich Jörg als Sportjournalist selbstständig gemacht und über Trainings- und Ernährungsthemen geschrieben. Von 2003 bis 2009 war der passionierte Radfahrer und Fachbuchautor als Dozent an der Deutschen Sporthochschule tätig. Und seit dem 15. Oktober 2020 verstärkt er ilovecycling.de als Chef-Redakteur mit seinem Fachwissen.