Ein Schwergewicht macht in den Bergen Urlaub auf dem Rennrad! Ob das gut gehen kann? Eigentlich komme ich aus der Mountainbike-Szene aber so richtig bergauf mochte ich nie fahren. Da mein Bachelorstudium und die Büroarbeit an mir deutliche Spuren hinterlassen haben, dachte ich mir, ich muss was tun!

Aber wer bin ich überhaupt?

Mein Name ist Michal, ich wohne in Bielefeld und bin 33 Jahre alt. Ursprünglich komme ich aus der Slowakei, wo ich bis zu meinem Abitur den Radsport sehr intensiv betrieben habe. Angefangen habe ich mit 12 Jahren mit Cyclocross. Mein erstes CX-Rennen hat in mir die Leidenschaft zum Fahren im Gelände geweckt. Es hat nicht lange gedauert und ich stand mit Mamas Mountainbike am Start des ersten Cross Country Rennens. Ich war damals gar nicht so schlecht. In der Schüler-Klasse fuhr ich meistens immer in die Top 5. Wer aber im Gelände gut sein möchte, muss natürlich auch auf der Straße trainieren.  Und so kam ich zum ersten Mal zum Rennrad. Mein Papa schenkte mir zu Weihnachten ein Rennrad der Marke Favorit.  Mit der Juniorenklasse kamen die richtigen Trainingseinheiten. Ich war auf einem Sportgymnasium in der Slowakei, wo wir den Radsport im Unterricht integriert hatten. Von halb acht bis viertel vor zehn hatten wir immer Schulunterricht und danach 2 Stunden Training. Später wieder Schule und danach eine zweite Trainingsphase oder frei. Am Wochenende waren wir dann meistens im Rennmodus. Straßenrennen, Duathlon, Cross Country. Es gab immer was. Ich wohnte mit meinen Eltern in einer Siedlung auf einem Berg über der Stadt. Zur Schule und zurück ging ich meistens zu Fuß. Je nachdem, wie viele Bücher man im Schulranzen hatte, ist man entweder aerob oder anaerob nach Hause gegangen. Zu der Zeit wog ich immer zwischen 60-65kg bei 172cm Körpergröße und hatte wirklich Probleme zuzunehmen.

Ein Schwergewicht macht in den Bergen Urlaub auf dem Rennrad

Nach dem Abi kam dann aber das ernste Leben.

Die Ausbildung, erster Job und Außendienst in Deutschland. Ich habe 2 Jahre in einem Hotel gelebt. Zum Frühstück gab es immer ein Frühstücksbuffet. Das Mittagessen wurde immer in der Betriebskantine gegessen und weil man im Hotelzimmer schlecht kochen kann, musste man sich zum Abendessen entweder was besorgen, was man im Hotel essen konnte oder man ging raus. Dank dem Dienstwagen und der Tankkarte hat man kaum mehr Schritte zu Fuß gemacht. Meine einzige sportliche Tätigkeit war Pumpen im Fitnessstudio. In dieser Zeit habe ich mich fast verdoppelt und erreichte die Heavy-Weight-Klasse von 108kg.

Während meines Studiums des Wirtschaftsrechts in Bielefeld, bin ich zwar relativ viel Mountainbike gefahren, aber die Kalorien, die man verbrannt hat, holte man sich durch Knabbereien bei den Lerngruppen oder bei individuellen Prüfungsvorbereitungen wieder rein. Durch das Fitnessstudio wuchsen zwar die Arme und die Schultern aber auf dem Bike merkte man dann wieder, wie unfit man wirklich war. Und wenn der Teuto feucht und matschig war, ist man sowieso unmotiviert zu Hause geblieben. Beim Blättern durch Bike-Zeitschriften kam plötzlich der Gedanke, wie wäre es wieder mit einem Rennrad?

Schnell zum Händler und das Rennrad war da.

Übermotiviert und hochbegeistert, machte ich mich im September 2014 auf meine erste Tour. Völlig fertig, ausgepowert und mit Schmerzen überall, habe ich die ersten 120km hinter mir gelassen. Die Tage danach war ans Radfahren gar nicht mehr zu denken. Muskelkater und  Poposchmerzen vom Sattel haben einem deutlich klar gemacht – Nein du willst jetzt nicht fahren!

Im gleichen Monat habe ich aber auch mit meinem Masterstudium des IT-Rechts und des Rechts des geistigen Eigentums an der Uni Hannover angefangen. Ich habe viel gelernt und spürte im ganzen Körper, dass ich wieder raus aufs Rad muss um einen freien Kopf zu kriegen. So bin ich immer, als ich Zeit hatte kurze 30-50km-Runden gefahren. In dieser Zeit habe ich auch Strava entdeckt und hatte dadurch zusätzliche Motivation rauf aufs Rad zu gehen und meine Challenges abzuschließen. Bei YouTube und in den Foren habe ich mir immer Tipps zum Rennradfahren angeschaut. Am Ende des Jahres habe ich mir gute Vorsätze für das neue Jahr 2015 vorgegeben. Ich wollte in die Berge, ich wollte die berühmten Bergstraßen und Pässe fahren und eine Liste mit meinen Zielen aufgestellt.

Natürlich habe ich von meinem Vorhaben meine Freunde und die Internetgemeinde informiert. Von vielen wurde ich nur skeptisch angeschaut, manche haben mir gleich gesagt, was sie davon halten, andere haben es vorsichtig verpackt und meinten – du siehst nicht wie ein typischer Bergfahrer aus! Aber es gab auch welche, die sich für mich gefreut haben.

Meine Reise hatte ich für Mai geplant, weil ich in der Zeit 2 Wochen frei hatte.  Im Februar bin ich von Bielefeld nach Österreich, Wien gezogen. Hier habe ich an der Uni Wien mein Auslandsemester absolviert. In März konnte man in Wien schon relativ gut trainieren, denn es lag kein Schnee. An längeren Wochenenden bin ich zu meinen Eltern in die Slowakei gefahren um dort schon ein Paar Pässe zu fahren. Auf den meisten Passstraßen lag aber noch Schnee.

Ein Schwergewicht macht in den Bergen Urlaub auf dem Rennrad

Der Mai rückte immer näher und mein Tagesablauf war jeden Tag der gleiche: Uni, Rad, Lernen, Schlafen. Und wieder von Anfang an. Jeden Tag. Da es im März und im April noch relativ früh dunkel wurde, habe ich das Tageslicht zum Trainieren genutzt und abends saß ich über dem Lernstoff. Ich merkte, dass ich immer fitter und meine Touren immer ausgedehnter wurden. An Gewicht habe ich aber leider nichts verloren. In der Woche habe ich viel auf der Donauinsel in Wien, im Wiener Wald oder einfach auf den Wiener Fahrradwegen trainiert, an den Wochenenden in den slowakischen Bergen bei meinen Eltern. (Wien und die Slowakei liegen ca. 70km voreinander entfernt).

Ich habe mir jeden Tag die Webcams von den Pässen und Straßen im Vorfeld angeschaut.

Auf der Liste standen:

  • Großglocknerstraße
  • Passo Stelvio
  • Passo Sella
  • Passo Pordoi
  • Passo Campolongo
  • Passo Gardena
  • Passo Nigra
  • Passo Carezza
  • Compatscher Pass
  • Gardasee

Ich bin ein großer Fan vom Giro d’Italia und meine Schwester lebt in Bozen, von wo man einen super Ausgangspunkt zu all diesen Pässen (außer Großglocknerstraße) hat. Mitte April konnte man schon bei den Webcams sehen, dass der Schnee von der Großglocknerstraße freigeräumt war. So habe ich im Fusch an der Großglocknerstraße ein Zimmer gebucht und nur auf gutes Wetter gehofft. Irgendwie werde ich da schon hoch kommen, habe ich mir gedacht. Auch bei den anderen Pässen außer Stelvio waren die Bedingungen schon einigermaßen okay. Ich habe kurz vor der Reise überlegt, dass ich alles auf Video festhalten möchte, um allen zu zeigen, dass ich es wirklich mache und es nicht nur eine Spinnerei von mir ist.

Ein Schwergewicht macht in den Bergen Urlaub auf dem Rennrad

Der große Tag kam schneller als ich dachte.

Ich hatte an diesem Tag eine Prüfung in der Uni. Ich hatte das Auto schon vollgepackt und wollte direkt nach der Prüfung losfahren. Ich habe geplant, dass ich an dem Tag noch die Glocknerstraße mit dem Auto hochfahre und die Bedingungen checke. Die Prüfung lief gut. Gut gelaunt, beeilte ich mich zum Auto zu kommen. Eingestiegen und los ging es. Ich musste knapp 400km in die Alpen fahren. Leider hatte ich an dem Tag sehr viele Staus erwischt, sodass ich erst um 21 Uhr abends im Hotel angekommen bin. Ich habe vor Aufregung nicht viel geschlafen und mehrmals kontrolliert, ob ich alles mithabe was ich brauchen würde.

Am nächsten morgen nach dem Frühstück und dem Checkout, stieg ich auf mein Rennrad und bin losgefahren. Die Großglocknerstraße hoch. Mit dem Wetter hatte ich wirklich Glück, aber das war es dann auch. Schon nach 3km habe ich überlegt, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe. Meine Tagesform war wegen dem Stress vom Vortag und wegen dem knappen Schlaf „im Arsch“. Mein Puls schoss in die Höhe und ich habe mich schon während der ersten Kilometer richtig gequält. Irgendwann dachte ich mir, es hat keinen Sinn und bin umgekehrt! Auf dem Weg zurück zum Auto habe ich mich selbst mit schlimmen Schimpfwörtern konfrontiert, ich fühlte mich erniedrigt. Ich fühlte mich als Versager und als Niemand. Vor allem dachte ich daran, wie die anderen mich auslachen würden. Am Auto angekommen, war ich echt fix und fertig. Als ich das Bike ins Auto packen wollte, kamen mir ein Paar ältere Rennradfahrer entgegen. Wir haben uns begrüßt und uns kurz über das schöne Wetter gefreut. Aber ich habe mich natürlich nicht wirklich gefreut.

Ein Schwergewicht macht in den Bergen Urlaub auf dem Rennrad

Dann wurde ich aber plötzlich nervös. Ich habe mir gedacht, wann bist du dann eigentlich wieder hier? Junge tu was! Probiere es noch einmal! Ich habe mein Rad wieder ausgepackt und mich wieder auf den Weg gemacht.

Jawohl, die Großglocknerstraße war geschafft! Ich war so froh und motiviert wie schon lange nicht mehr. Unten angekommen, habe ich mein Rad wieder ins Auto gepackt und machte mich auf den Weg in Richtung Italien. Im Kopf habe ich mir vorgestellt, wie ich die anderen Pässe fahren werde und wie ich die Erfahrungen vom Glockner umsetzen kann.

In Italien angekommen, habe ich mich erst einmal wieder gefreut nach einer langen Zeit meine Schwester wiederzusehen. Sie hat mich zum Essen eingeladen und wir haben eine echte italienische Pizza genossen. Am nächsten Tag sind wir zusammen nach Riva del Garda zum Gardasee gefahren. Sie hat sich dort ein XC-Mountainbike ausgeliehen und dann sind wir zusammen über Torbole nach Malcesine gefahren. In Malcesine haben wir die Fähre nach Limone genommen und von dort ging es über die Straße zurück nach Riva. Es war ein entspannter Tag und ich konnte meine Muskeln ein wenig locker machen. Denn am nächsten Tag wollte ich den Passo dello Stelivo (Stilfser Joch) fahren.

Mit dem „Erfolg“ vom Stelvio wuchs auch meine Begeisterung für diese Anstiege. Eigentlich wollte ich am nächsten Tag einen Ruhetag machen aber die Umgebung und die Kulissen haben es mir nicht erlaubt „nicht“ Rad zu fahren. Deswegen ging es gleich am nächsten Tag in das Grödner Tal und die Sella Ronda, 4 Pässe standen auf dem Programm. 4 Pässe an einem Tag, da habe ich mir was vorgenommen. Und es war wirklich grenzwertig. Obwohl ich den Sella-Pass relativ locker geschafft habe, war der Pordoi und Campolongo nicht ohne. Der letzte Pass war wirklich eine Quälerei für mich, weil ich auch noch starken Gegenwind erwischt habe.

Nach der Sella Ronda war ich wirklich, aber wirklich fertig. Am nächsten Tag wollte ich einfach nichts mehr machen. In der Sonne am Wasser liegen und viel Pizza essen – das war der Plan. Was mich aber noch interessiert hat, waren die Fahrradwege in der Stadt Bozen. Am nächsten Tag habe ich länger geschlafen als die Tage zuvor. Die Milchsäure in den Muskeln und die Höhenmeter von den letzten Tagen, spürte ich einfach in jeder Zelle meines Körpers. Umso glücklicher war ich, als ich gesehen habe, dass meine Schwester schon für mich das Frühstück gemacht hat. Nach dem Frühstück bekam ich die Idee, einfach mal eine kurze Runde über die städtischen Fahrradwege in die Stadt zu fahren. Höchstens eine Stunde, war der Plan.

Ich war selber von mir überrascht, dass ich überhaupt noch in der Lage war bergauf zu fahren. An dem Abend habe ich mir aber wirklich eine große und leckere Pizza gegönnt. Das Leben ist einfach wunderschön. Aber umso trauriger war ich, dass mein Urlaub leider immer näher dem Ende entgegen ging. Was ich noch unbedingt fahren wollte, war der Rosengarten mit dem Karersee. Am Abend habe ich noch kurz die Strecken und Höhenmeter im Internet gecheckt und am nächsten Tag war ich da – es war meine Abschiedstour in den Bergen. Einerseits war ich froh, anderseits wusste ich, wie ich diese Gegend vermissen werde.

Einerseits glücklich, andererseits mit gemischten Gefühlen, bin ich zurück nach Bozen gefahren. Am nächsten Tag ging es dann zum Gardasee, wo ich die 3 letzten Tage meines Urlaubs verbracht habe. Von der Umrundung des Sees habe ich leider keine Aufnahmen, trotzdem war es eher eine tolle Genussfahrt. Ich habe es noch geschafft mir das Colnago Gran Fondo anzuschauen und 70km mitzufahren. Jetzt weiß ich zumindest, dass ich nach dieser Erfahrung keine Massenveranstaltungen mehr mit übermotivierten Hobbyfahrern besuchen möchte.

Zum Schluss würde ich noch gerne sagen, dass alle unbedingt einmal mit dem Rad nach Südtirol fahren sollen. Die Gegend, die Straßen, es ist einfach unbeschreiblich schön.

Und zu euch schwere Jungs! Wenn euch einer mal erzählen möchte, dass ihr den Quatsch mit dem Rennrad lieber lassen solltet, hört weg.

Es geht alles, man muss es nur probieren.

Impressionen meiner Reise:

iLOVECYCLING.de
Das Online-Magazin mit "Herz" und vielen nützlichen Themen, Infos, Tipps und Tricks rund um den Hobby- und Jedermann-Radsport. Wir wünschen Euch viel Spaß beim Durchstöbern unseres Online-Magazins mit “Herz“.