In einer traditionellen Disziplin wie dem Radsport werden Trainingsmethoden viel zu oft als unantastbare Dogmen behandelt. Dies verhindert wichtigen Fortschritt. Das Weiterentwickeln bestehender Trainingsstrategien ist aber unbedingt notwendig, um in der heutigen Leistungsdichte im Spitzensport vorne dabei zu sein. Im folgenden Artikel werden neue Ansätze für ein erfolgreiches und radsportspezifisches Krafttraining aufgezeigt. Mit der Kraft kommt die Geschwindigkeit.

Die Rechnung für Radsportler scheint einfach

Mehr Kraft auf den Pedalen bei gleich bleibender Kadenz bedeutet mehr Leistung. Und mehr Leistung bedeutet mehr Geschwindigkeit – das große Ziel jedes ambitionierten Radsportlers. Eine hohe maximale Geschwindigkeit ist besonders in rennentscheidenden Situationen wie dem Zielsprint von Bedeutung. Je schneller und je mehr Kraft hier ein Fahrer auf die Pedale bringt, desto größer sind seine Siegchancen. Ein hohes Kraftniveau ist ebenfalls von Bedeutung, um am Berg erfolgreiche Attacken zu fahren oder Angriffe von Gegnern zu parieren. Hierbei müssen die Fahrer Leistungen von z.T. über 1.000 Watt erbringen. Je mehr sich die zu erbringende Leistung dem individuellen Kraftmaximum nähert, desto größer ist die Bedeutung der Maximalkraft. Die höchsten Leistungen sind beim Bahnradsport gefordert, wenn es darum geht, aus dem Stand in kürzester Zeit eine maximale Geschwindigkeit zu erreichen. Spitzenfahrer leisten hierbei rund 2.000 Watt. Grundsätzlich steigert ein erhöhtes Kraftniveau die Siegchancen in sämtlichen Radsportdisziplinen!

Die Muskeleffizienz steigern

Das Ziel eines Radsportlers liegt nicht nur darin, möglichst viel Kraft auf die Pedale zu bringen. Die Kraft soll auch über einen langen Zeitraum geleistet werden. Das Verbessern der Kraftausdauer ist jedoch nicht die zentrale Aufgabe des Krafttrainings im Radsport. Die erwarteten Anpassungen hinsichtlich einer verbesserten Ermüdungswiderstandsfähigkeit werden bereits durch die Form des Intervalltrainings auf dem Fahrrad angesprochen. Von einem speziellen Kraftausdauertraining sind keine weiteren Effekte für Radsportler zu erwarten, da die Anpassungseffekte primär auf der Ebene der Energiebereitstellung liegen und weniger die Kraftkomponente betreffen. Durch das Trainieren der Muskeln soll gezielt das Maximalkraftniveau gesteigert werden. Eine höhere Maximalkraft verbessert gleichzeitig die Schnellkraft- und die Kraftausdauerleistungen. Das Ziel eines solchen Trainings liegt in Anpassungen des neuromuskulären Systems. Dem Sportler stehen so bei einem gesteigerten Maximalkraftniveau mehr Reserven zur Verfügung, weil mehr Muskelfasern aktiviert werden können. Beim Erbringen einer Leistung von z.B. 300 Watt ist die Beanspruchung für den Fahrer umso geringer, je höher seine Maximalkraft ist. Der bei jeder Kurbelumdrehung aufzubringende relative Krafteinsatz fällt mit steigendem Niveau der Maximalkraft. »Relativ« beschreibt hierbei das Verhältnis zwischen geleistetem Krafteinsatz und individuellem Kraftmaximum. Ein erhöhtes Maximalkraftniveau steigert folglich die Muskeleffizienz und der Radsportler ist in der Lage, ein höheres Tempo über einen längeren Zeitraum zu fahren.

Empfehlung: Funktionelles Training

Funktionelles Training XE »Training:funktionelles« heißt radspezifische und alltägliche Bewegungen zu unterstützen und zu verbessern. Entscheidend dafür ist die Auswahl an Übungen. Eine funktionelle Übungsauswahl trainiert Bewegungen und nicht isolierte Muskeln! Mit zielgerichteten Übungen werden die Kraft und Effizienz der Bewegungen trainiert, die Radsportler in ihrer Disziplin und im alltäglichen Leben brauchen. Dadurch sind die Athleten in der Lage, mehr zu leisten. Darüber hinaus hilft diese Art des Trainings, Probleme am Bewegungsapparat zu vermeiden. Um wirkungsvolle Effekte zu erzielen, sind besonders mehrgelenkige Übungen und freie Gewichte einzusetzen. Die tiefe Hantelkniebeuge zeigt sich für die Radsportdisziplinen als besonders leistungswirksam. Aufgrund ihrer äußeren Ähnlichkeit zur Tretbewegung ermöglicht diese Übung einen hohen Transfer der gewonnenen Muskelkraft auf die radsportspezifische Leistung. Beim Üben im Kraftraum sind aber nicht nur die unteren Extremitäten zu kräftigen, die Rumpfmuskeln sowie die Muskeln der oberen Extremitäten sind ebenfalls gezielt zu trainieren. Ein muskulär gut stabilisierter Oberkörper ermöglicht dem Sportler, mehr Kraft auf die Pedale zu übertragen.

Kraftraum vs. Fahrrad

Zum Ausbilden der Kraftleistungen werden im Radsport Berganfahrten mit hohen Übersetzungen und niedrigen Trittfrequenzen empfohlen. So plausibel dies auch auf den ersten Blick erscheint, gehen die Wirkungen am Ziel vorbei. Das mühevolle Treten am Berg wird hierbei falsch aufgefasst. Das kraftvolle Fahren mit »schweren« Gängen ist nicht mit einem Krafttraining gleichzusetzen. Die produzierten Krafteinsätze sind hierbei nicht hoch genug, um physiologische Anpassungen im Sinne eines Krafttrainings zu erzielen. Trainiert werden mit dieser Trainingsform allein die energiebereitstellenden Systeme, die ohnehin in den spezifischen Trainingsinhalten trainiert werden. Das wirkungsvolle Steigern der Kraftfähigkeit ist mit dem Sportgerät Fahrrad nicht möglich, da neuromuskuläre Anpassungen aufgrund der geringen Krafteinsätze nicht zu erwarten sind.

Krafttraining ist auf dem Rad per se nicht möglich! Ein effektives Trainieren der Muskelkraft erfordert ein Üben mit Hanteln und Kraftmaschinen. Nur mit diesen Trainingsmitteln können ausreichend hohe Widerstände erzeugt werden, um Anpassungen im Sinne eines Krafttrainings zu erzielen. Die motorischen Fähigkeiten Kraft und Ausdauer sind am wirkungsvollsten in getrennten Trainingseinheiten auszubilden. Hierbei sind jeweils die effektivsten Methoden und Trainingsmittel einzusetzen:

Kraft = Trainieren mit Hanteln und Maschinen im Kraftraum
Ausdauer = Trainieren mit dem Rad auf der Straße und im Gelände

Krafttrainingsmethoden

Die wichtigsten Methoden im radsportspezifischen Krafttraining sind:

  • Methoden zum Vergrößern des Muskelquerschnitts
  • Methoden zum Optimieren des Nerv-Muskel-Zusammenspiels (intramuskuläres Koordinationstraining).

Methoden zum speziellen Trainieren der Kraftausdauer spielen keine Rolle. Wie bereits beschrieben, werden die erwarteten Anpassungen hinsichtlich einer verbesserten Ermüdungswiderstandsfähigkeit bereits durch die Form des Intervalltrainings auf dem Fahrrad erreicht. Von einem speziellen Kraftausdauertraining sind daher keine weiteren Effekte für Radsportler zu erwarten. Auch für gesundheitswirksame Anpassungen gilt: Große Wirkungen sind nur mit großen Widerständen erreichbar. Erst mit Trainingslasten, die mindestens 70% der Maximalkraft entsprechen, lassen sich umfangreiche physiologische Anpassungen erzielen, z.B. günstige hormonelle Auswirkungen und ein Erhöhen der Knochenmineraldichte.

Fazit:

Das oftmals praktizierte kraftvolle Radfahren mit »schweren« Gängen kann ein Krafttraining nicht ersetzen. Erst durch den Besuch eines Kraftraums können Radsportler ihr individuelles Leistungs­potenzial voll nutzen. Durchzuführen ist besonders ein Maximalkrafttraining mit freien Gewichten. Ziel ist dabei das Ausschöpfen des vorhandenen Muskelpotenzials und ein optimales Ausprägen der Muskeln – abgestimmt auf die motorische Fähigkeit Ausdauer. Ein maximales Muskelwachstum spielt keine Rolle.

Kniebeuge im Training mit Stange
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Kniebeuge mit Hanteltest – eine von vielen Übungstechniken

Startposition:

Die Langhantel wird aus dem Ständer genommen: Sie wird mit überschulterbreitem Griff im Nacken auf dem oberen Anteil des Trapezmuskels und den Schultern abgelegt. Die Schultern sind zurückgezogen und drücken die Stange aktiv nach oben, damit kein Druckschmerz im Halswirbelsäulenbereich entsteht (Abb.).

Die Standweite ist etwa schulterbreit, wobei die Fußspitzen leicht nach außen zeigen. Die Haltung ist aufrecht, Kopf hoch, Blick geradeaus, die Brust ist angehoben und der untere Rücken ist durchgedrückt (leichtes Hohlkreuz). Diese anatomisch natürliche S-Form der Wirbelsäule ist in den unterschiedlichen Beugestellungen beizubehalten (Abb.).

Ausführung:

Mit aufrechtem Oberkörper wird mit dem Gewicht senkrecht und auf dem ganzen Fuß in die tiefe Hocke gegangen. Hierbei ist die Körperspannung permanent zu halten. Das Beugetempo wird so gewählt, dass die Bewegung jederzeit gestoppt werden kann. Anzusteuern ist ein tiefster Beugewinkel im Kniegelenk von mindestens 70°. Die Beugung erfolgt soweit, bis das Hüftgelenk etwas tiefer als das Kniegelenk ist. Hierbei steht die Oberkante der Oberschenkel etwa parallel zum Boden. In dieser Position wird die Hantellast muskulär abgebremst (Abb.)

Ohne Pause, den Blick geradeaus gerichtet, erfolgt ein Aufrichten aus der Hocke zurück in den gestreckten Stand. In der oberen Position werden die Kniegelenke nicht ganz durchgedrückt. Beim Aufrichten wird die Hüfte bewusst nach vorne geschoben, um die Wirbelsäule zu entlasten. Die Bewegungsausführung ist kontrolliert und gleichmäßig. Während des Ausführens der Übung liegen die Oberschenkel, Unterschenkel und die Füße in einer Linie. Die Knie bewegen sich in einer gedachten Geraden über die Zehen. Auf diesem Wege wird, zusammen mit der Forderung nach einer individuell leicht geöffneten Fußstellung, eine anatomisch natürliche Kniebeuge ermöglicht. Beim Absenken einatmen und beim Aufrichten ausatmen.

Hinweis:

Die Übungstechnik der Kniebeuge ist selbst für Personen jenseits des sechzigsten Lebensalters risikolos erlernbar. Sie kann selbst im Präventionssport und bei Trainingsanfängern von der ersten Trainingseinheit an geübt werden. Zusatzgewichte sind dabei anfangs nicht unbedingt notwendig. Es reicht, die Übung mit der Hantelstange auszuführen.

Das sind typische Fehler bei der Ausführung:

  • Rundrücken durch fehlende Körperspannung. Nur Lasten wählen, die eine Gesamtkörperspannung zulassen!
  • Hantelstange wird nicht auf dem Schultergürtel abgelegt und drückt direkt auf die Halswirbelsäule
  • Hantelstange liegt zu tief auf dem oberen Rücken. Folge: Beim Ausführen der Übung verlagert sich die Belastung. Die Kniestreckmuskulatur wird weniger, die Gesäßmuskulatur sowie die unteren Anteile der Rückenmuskeln stärker aktiviert
  • Hantelstange wird nicht symmetrisch gegriffen
  • Zu enge oder breite Fußstellung (Stand soll ungefähr schulterbreit oder etwas weiter sein; mind. hüftbreit)
  • Füße nicht auf derselben Höhe oder mit unterschiedlicher seitlicher Abweichung
  • Der Abstand zwischen den Knien verändert sich während der Bewegungsausführung
  • Abwärtsbewegung zu schnell
  • »Flatternde« Knie bei mangelhafter Koordination und unzureichenden Kraftverhältnissen (Zusatzlast verringern!)
  • Sportler nicht tief genug in der Hocke (Mindesttiefe: die Oberkante der Oberschenkel ist etwa parallel zum Boden)
  • Abkippen des Beckens (höhere Hockposition wählen)
  • In der tiefen Position steht der Sportler zu stark auf dem Vorderfuß und die Ferse hebt ab. Die Belastung muss stets auf dem ganzen Fuß verteilt sein
  • Zu wenig Kontrolle oder Durchfedern am Bewegungsumkehrpunkt (vom Ab- zum Aufsteigen aus der Hocke). Die Last muss am unteren Punkt muskulär abgebremst werden – kein Durchsacken bis zum Gelenkanschlag!
  • Beim Aufrichten wird die Hüfte nicht nach vorne geführt
  • Oberkörper zu weit nach vorne geneigt
  • Gesäß weicht nach hinten aus (Übung ist nahe an der Senkrechten auszuführen)
  • Rundrücken beim Aufnehmen und Ablegen der Hantel im Ständer
  • Mangelnde Konzentration des Übenden

Bildnachweis: © Ibrakovic – istockphoto.com

Buch-Tipp:

Krafttraining-im-Radsport

Krafttraining im Radsport – Methoden und Übungen zur Leistungssteigerung und Prävention. Autoren: Wagner, A., Mühlenhoff, S., Sandig, D. (2010)

Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Urban & Fischer bei Elsevier, München (15. März 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3437485903
ISBN-13: 978-3437485909

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Titelbild ©: Ibrakovic – istockphoto.com

DENNIS SANDIG
Dennis war Sportler mit Herzblut und begann seine sportliche Laufbahn zunächst komplex mit der Leichtathletik. Als Spross einer Radsportfamilie entdeckte der Neffe von Didi Thurau früh seine Liebe zum Rennrad. Krafttraining und Eisschnellauf brachten den nötigen Ausgleich. Nach dem Studium der Sportwissenschaften, Sportmedizin und Psychologie arbeitete er an der Universität des Saarlandes und später 3 Jahre am Institut für Sportwissenschaften der Julius-Maximilians Universität in Würzburg. Nach der Zeit als Trainer beim Schweizer Pro Continental Team Roth wechselte er als Referent für Bildung zur Deutschen Triathlon Union e.V.

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