Herbstzeit ist Kraftraumzeit
Also gibt es nun etwas zum Thema Krafttraining – aber nicht irgendwas,
sondern einen Artikel über Crossfit im Radsport! Crossfit hat sich in den letzten Jahren
ausgebreitet wie ein Flächenbrand im Fitness- und Trainingsbereich.
Und Radfahren war sogar die Überraschungsdisziplin bei den diesjährigen Crossfit-Games!
ilovecycling.de erklärt jetzt, ob Radfahrer von dieser immer beliebteren Fitnessbewegung profitieren können.
Das Ausdauersportler von einem Krafttraining profitieren können, ist längst kein Geheimnis mehr. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen zunehmend die positiven Effekte eines intensiven und ergänzenden Krafttrainings für Radsportler (Wagner & Mühlenhoff 2017; www.krafttraining-im-radsport.de). Durch ein gezieltes Trainieren der Muskelkraft können Radsportler:
- die Ausdauerleistung unterstützen,
- die Muskeleffizienz und Bewegungsökonomie verbessern,
- die Leistungen bei kurzzeitigen und rennentscheidenden Antritten steigern,
- den Stütz- und Bewegungsapparat stärken, um das Verletzungs- und Verschleißrisiko zu reduzieren, gerade mit Blick auf die einseitigen Belastungen im Radsport.
Voll im Trend: die Crossfit-Bewegung
Wer sich nun abseits der Radstrecke aufmacht, um ein ergänzendes Krafttraining zu praktizieren, dem begegnet früher oder später sicherlich der Begriff Crossfit®. Dieser Begriff ist nicht nur ein Modewort. Crossfit® ist eines der am schnellsten wachsenden Trainingssysteme der letzten Jahre in Deutschland (CrossFit-Studie).
Was ist Crossfit?
Bei der Crossfit®-Bewegung geht es darum, die allgemeine Fitness zu verbessern. Diese wird über die folgenden Aspekte definiert: kardiovaskuläre Ausdauer, Durchhaltevermögen, Kraft, Beweglichkeit, Koordination, Balance, Agilität, Präzision, Explosivität und Schnelligkeit. Das Ziel ist es, die komplette Leistungsfähigkeit über alle diese Bereiche zu verbessern. Dazu sollen Crossfit®-Trainierende z. B. Rennen, Seilspringen, Liegestütz- und Kastensprünge ausführen. Neben vielen Eigengewichtsübungen sollen sie dazu u. a. auch Hanteln, Gymnastikringe, Klimmzugstangen, Kettlebells, Medizinbälle, Kletterseile, Taue, Sandsäcke und Lkw-Reifen einsetzen. Crossfit® verfolgt den theoretischen Gedanken, dass je besser jemand in allen oben angeführten Fähigkeiten und Übungen ist, er umso bessere Leistungen in so ziemlich jeder Aktivität oder Sportart erzielen sollte, mit der er konfrontiert wird. Um auf alle vorhersehbaren und unvorhersehbaren körperlichen Anforderungen optimal vorbereitet zu sein, sollen Crossfit®-Trainierende deshalb mit den verschiedensten Übungen und Trainingsmitteln ständig variierende Trainingsreize setzen (vgl. Murphy 2013).
In der Box
Umgesetzt wird das Crossfit®-Training durch die sogenannten „WODs“, eine Abkürzung für Workout of the Day. Diese Trainingseinheiten werden vom Crossfit®-Hauptquartier in den USA über die Webseite oder von der eigenen „Box“ (so werden die Crossfit®-Trainingseinrichtungen bezeichnet) ausgegeben. Die WODs dauern normalerweise zwischen 5–20 Minuten; teilweise gibt es auch Ausnahmen bzw. spielt das eigene Fitnessniveau dabei eine Rolle (Ruep 2014). Oftmals sollen innerhalb einer bestimmten Zeit so viele Wiederholungen wie möglich absolviert werden. Ein WOD kann zum Beispiel lauten: 5 Klimmzüge, 10 Liegestütze und 15 Kniebeugen in einem Block ausführen. Dieser Block soll dann innerhalb von 20 Minuten so oft wie möglich absolviert werden.
Dabei können immer wieder neue Workouts mit der Kombination der unterschiedlichsten Crossfit®-Übungen entwickelt werden. Dem Einfallsreichtum von Boxbetreibern und Trainern sind dabei prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Zurückgegriffen werden kann dabei auf Übungen aus drei verschieden Bewegungskategorien: Weightlifting (z. B. Bankdrücken, Umsetzen mit der scheibenhantel, Kreuzheben), Gymnastics (z. B. Liegstützsprünge, Klimmzüge, Dips) und Monostructural (z. B. Laufen, Rudern, Radfahren) (vgl. Mackenzie 2012).
Es gibt nur ein Gas: Vollgas
Die Crossfit®-Philosophie sieht vor, die WODs immer am Limit auszuführen – im Sinne eines High-Intensity-Trainings (HIT) bzw. eines All-out-Trainings. Der Übende soll dabei immer an seine Leistungsgrenze gehen. Das Steuern der Belastung erfolgt dabei über vier grundlegende Arten (vgl. McKenzie 2012; Ruep 2014):
- Runden auf Zeit absolvieren: eine vorgegebene Trainingseinheit z. B. dreimal hintereinander so schnell wie möglich absolvieren
- So viele Runden wie möglich innerhalb einer festgelegten Zeit absolvieren: eine bestimmte Trainingseinheit so oft wie möglich innerhalb von z. B. 20 Minuten wiederholen
- Wiederholungen auf Zeit (z. B. 50 Liegestützsprünge) oder Distanz auf Zeit (z. B. ein Lauf über 5 km)
- Maximale Anstrengung: B. 1 RM Kniebeuge oder die maximale Anzahl an Klimmzügen absolvieren
Thinking outside the box: Crossfit® vs. sportartspezifischem Training
Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich wird, geht es den Crossfit®-Trainierenden um eine allgemeine bzw. breit gefächerte Fitness. Die Philosophie besteht in einem „Nichtspezialisieren“ (vgl. Murphy 2013). Bei einem gezielten Kraft-, Konditions- oder Athletiktraining für eine Zielsportart wird dagegen ein Anforderungsprofil erstellt und das Training spezifisch darauf ausgerichtet. Athleten wollen sich in ihrer Sportart spezialisieren; z. B. möchten sich Radfahrer in der Disziplin Mountainbike-Cross-Country spezialisieren. In diesem gezielten Spezialisieren liegt ein großer Unterschied gegenüber der „Nichtspezialisieren“-Philosophie von Crossfit® (Wagner & Mühlenhoff 2017).
Crossfit® als ergänzendes Training für Radsportler
Crossfit® hat den Anspruch, die Trainierenden bestmöglich auf jedwede sportliche Herausforderung vorzubereiten. Dies führt dazu, dass Sportler der unterschiedlichsten Disziplinen ergänzende Crossfit®-Workouts absolvieren. Sie hoffen dadurch, ihre Leistungen in der Hauptdisziplin – z.B. Radfahren oder Triathlon – steigern zu können. Aus Sicht des Autors ist Crossfit® aber alleine schon aus den folgenden drei Aspekten als Zusatztraining für eine Hauptdisziplin wie dem Radsport ungeeignet:
- Die pauschale Zusammenstellung der WODs
- Die hohe Belastung durch die WODs
- Das gleichzeitige Ansteuern von Kraft- und Ausdauerkomponenten innerhalb eines WODs
Hinzu kommt, dass Crossfit® das wichtige Prinzip der Individualisierung nicht ausreichend beachtet. Die Trainingsübungen werden über das Workout of the Day pauschal für alle Athleten vorgegeben. Dadurch werden die individuellen Ziele und Voraussetzungen (z.B. wenn sich ein Radsportler in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung befindet) nicht ausreichend beachtet. Im Leistungssport wird damit grundlegend die Chance vertan, die Athleten gezielt auf die körperlichen Anforderungen ihrer Hauptdisziplin vorzubereiten.
Hinterfragt werden sollte auch, wie sinnvoll bestimmte Crossfit®-Workouts im Einzelnen sind. Beim WOD „Grace“ soll z. B. 30-mal die technisch sehr anspruchsvolle Übung Umsetzen und Ausstoßen mit der Scheibenhantel auf Zeit ausgeführt werden. Hier gilt zu bedenken: Wird diese Übung bis zum Muskelversagen ausgeführt, kann es schnell zu Verletzungen kommen, da eine korrekte Ausführung nicht mehr sichergestellt ist. Bei diesem Trainingsprogramm wird auch noch einmal die bereits angesprochene Crossfit®-Philosophie deutlich, die WODs immer am Limit auszuführen. Die Workouts sind grundlegend so konzipiert, dass der Sportler bis an seine Leitungsgrenze geht. Die Folge ist eine hohe Ermüdung. Als Konsequenz daraus werden hohe Anforderungen an die Regenerationsfähigkeiten gestellt – besonders dann, wenn noch die sehr hohen Trainingsumfänge der Hauptdisziplin Radfahren hinzukommen. In diesem Fall würde nicht nur die Trainingsqualität in der Hauptdisziplin Radfahren leiden. Es würde schnell zu einem Leistungsabfall, Überlastungen und Verletzungen kommen (vgl. auch Ruep 2014).
Ebenso wird im Crossfit® die Chance vertan, bestimmte Muskelleistungen wie Explosivkraft, Schnellkraft und Maximalkraft optimal zu entwickeln. Im Sinne eines hierzu besonders wirksamen intramuskulären Koordinationstrainings müssten die Trainingsübungen in einem ausgeruhten Zustand mit hoher Bewegungsqualität ausgeführt werden (Wagner & Mühlenhoff 2017). Die meisten Workouts beim Crossfit® stellen dagegen eine Mischung aus Kraft- und Ausdauertraining dar, was die jeweiligen Trainingseffekte gegenseitig hemmt. Für optimale Trainingserfolge sollten grundsätzlich Ausdauer und Kraft in getrennten Trainingseinheiten trainiert werden. Hierbei hat sich zusätzlich ein Aufteilen der Trainingsinhalte in verschiedene Phasen bzw. Trainingsperioden bewährt (Wagner & Mühlenhoff 2017).
Fazit:
Ein erfolgreiches Krafttraining muss im Radsport auf die geplanten Trainingsinhalte mit dem Fahrrad abgestimmt sein. Die im Crossfit® pauschal vorgegebenen Trainingsprogramme („WODs“) und die „Nichtspezialisierungs“-Grundhaltung konterkarieren diese wichtige Tatsache. Hinzu kommt, dass die All-out-Philosophie im Crossfit® und das vorherrschende Vermischen von Kraft- und Ausdauertraining innerhalb eines Workouts, sich nicht gut mit einem intensiven und umfangbetonten Training auf dem Fahrrad vertragen (Stichwort: Übertraining!).
Crossfit® sollte daher nicht als ein ergänzendes Trainingsprogramm für Radsportler angesehen werden. Vielmehr sollte Crossfit® als eine eigene Sportart betrachtet werden (vgl. auch Ruep 2014). Seit dem Jahr 2007 messen sich die besten Crossfit®-Athleten regelmäßig bei den Crossfit®-Games. Und Crossfit® bereitet seine Athleten primär auf die körperlichen Anforderungen beim Crossfit® vor. Eine der Überraschungsdisziplinen bei den diesjährigen Crossfit®-Games war sicherlich Radfahren. Die Crossfitter mussten eine gemäßigte Cyclocrossstrecke mit dem Mountainbike absolvieren. Zu entscheiden, wie sich die Allroundathleten dabei geschlagen haben, soll an dieser Stelle jedem selbst überlassen sein, der den Wettkampf verfolgt hat.
Empfehlung:
Soll die Muskelleistung für die Disziplin Radsport durch ein ergänzendes Training gesteigert werden, sollten andere Methoden als Crossfit®-eingesetzt werden. Radsportler profitieren besonderes von einem auf die jeweilige Disziplin (z.B. Mountainbike-Cross-Country) und Saisonphase abgestimmten Hypertrophie- und intramuskulären Koordinationstraining. Eingesetzt werden sollten dabei komplexe Grundübungen aus dem Krafttraining wie die Kniebeuge mit Hantellast, Kreuzheben und Umsetzen mit der Scheibenhantel. Ein Krafttraining mit Ausdauerkomponente spielt im Radsport keine Rolle, da hierbei keine zusätzlichen Effekte für Radsportler zu erwarten sind. Bei einem Kraftausdauertraining dominiert die aerobe Energiebereitstellung, die bereits durch ein Intervalltraining auf dem Rad ausgebildet wird. Mehr zum Thema lesen Interessierte unter www.krafttraining-im-radsport.de .
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QUELLEN:
CrossFit-Studie (2015). CrossFit in Deutschland 2015, fitogram.de, 10. Oktober 2015. Abgerufen am 06. Juli 2016 unter: https://www.fitogram.de/plus/posts/crossfit-studie-2015-teil-1/
McKenzie (2012). Power Speed ENDURANCE: A Skill-Based Approach to Endurance Training. Las Vegas, Nevada: Victory Belt Publishing.
Murphy, T. J. (2013). In der Box. Wie CrossFit das Training revolutionierte und mir einen völlig neuen Körper verlieh. München: Riva.
Ruep, M. (2014). Crossfit – zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Konditions- und Athletiktrainer. Athletik-Blog. Abgerufen am 06. Juli 2016 unter: http://athletik-blog.de/crossfit-zu-risiken-und-nebenwirkungen-fragen-sie-ihren-konditions-und-athletiktrainer/
Wagner, A. & Mühlenhoff, S. (2017). Krafttraining im Radsport. Methoden und Übungen zur Leistungssteigerung und Prävention, 2. vollständig überarbeitete Auflage. Erschienen bei Elsevier im Urban & Fischer Verlag. Mehr unter: www.krafttraining-im-radsport.de
Titelbild ©: Vasyl – stock.adobe.com
Ja, das erscheint mir durchaus sinnvoll. Ein guter Trainer ist wichtig. Zum einen um das Training Radspezifisch anzupassen und eben das Verletzungsthema. Das Problem ist die Ausbildung: Ein Wochenende Kurs, den ein halbwegs intelligentes Wesen besteht. Leider aber auf Masse und nicht Klasse ausgelegt