Zeitfahren gilt gemeinhin als die Königsdisziplin im Radsport. Nirgendwo sonst lässt sich der Rausch der Geschwindigkeit – angetrieben durch pure Muskelkraft – intensiver erleben als im Kampf gegen die Uhr. Doch um im Zeitfahren Erfolg zu haben braucht es mehr als einen speziellen Trainingsplan. Es kommt darauf an, das System Mensch und Maschine zu optimieren. Ganz gleich wie stark die Beine sein mögen: Ohne eine gute Aerodynamik wird es nicht klappen, dauerhaft in höhere Geschwindigkeitssphären vorzustoßen.
Der unsichtbare Gegner
Um das zu verstehen hilft ein kurzer Ausflug in die Physik. Beim Radfahren ist es die Luft, die den Fahrer mit Abstand am heftigsten bremst. Die unsichtbare Wand aus Stickstoff und Sauerstoff zeichnet für rund 80 Prozent des Gesamtwiderstandes verantwortlich. Doch damit nicht genug: Der Luftwiderstand steigt mit der Geschwindigkeit im Quadrat. Wer nicht richtig windschlüpfrig auf dem Rad sitzt braucht leicht 90 Prozent seiner Leistung und mehr um schnell voranzukommen.
Für gute Zeitfahrresultate kommt es also vor allem darauf an, dem „Wind“ so wenig wie möglich Angriff zu bieten. Erreicht wird das durch eine aerodynamische Sitzposition, bei der die Stirnfläche des Radfahrers minimiert wird. Messungen des Radmagazins Tour zufolge verringert sich der Luftwiderstand zwischen der Bremsgriffhaltung auf einem normalen Rennrad und der optimierten Position auf einen Zeitfahrrad um ein Viertel. Tour zufolge bedeutet das bei gleicher Tretleistung: Ein gut trainierter Hobbyzeitfahrer fährt 35,7 statt 32,7 km/h, ein Profizeitfahrer 50 statt 45,6 km/h.
Eine aerodynamische Sitzposition ist somit ein Muss, will man schnell Zeitfahren. Idealerweise liegt der Oberkörper dabei parallel zum Boden. Dadurch wird die Stirnfläche und damit der Luftwiderstand, am stärksten minimiert. Mit einem herkömmlichen Rennrad ist eine solche Position allerdings nur schwer umzusetzen. Denn bei rennradtypischen Sitzrohrwinkeln von 73 bis 75 Grad würde man mit den Oberschenkeln gegen die Brust stoßen.
Zeitfahrräder haben deshalb einen deutlich steileren Sitzrohwinkel – üblicherweise 78 Grad.
Der Effekt: Der Rennfahrer kippt um das Tretlager nach vorn, die Sitzposition wird flacher, die Stirnfläche schrumpft und der Winkel zwischen Oberschenkel und Oberkörper bleibt konstant. Für eine aerodynamisch günstige Sitzposition ist zusätzlich ein Zeitfahrlenker notwendig: Er bringt die Arme vor den Körper, was die Stirnfläche weiter reduziert, und ermöglicht durch die integrierten Armauflagen die Abstützung des Oberkörpers, so dass die Aeroposition bequem über einen längeren Zeitraum eingehalten werden kann.
Mit Intervallen zu mehr Speed
Mit einer so optimierten „Karosserie“ kann man sich an das „Motortuning“ machen. Intervalltraining – also die Abwechslung zwischen Belastungs- und Erholungsphasen – eignet sich dafür am besten. Dabei werden die Erholungsphasen hinsichtlich Dauer und Intensität so gewählt, dass sich der Körper nicht vollständig erholen kann und Trainingsreize gesetzt werden. Wichtig ist zudem, die Geschwindigkeit während des Trainings möglichst konstant zu halten, da der Luftwiderstand exponentiell mit dem Speed zunimmt. Kurze Phasen mit höherer Geschwindigkeit kosten mehr „Körner“ als ein langsameres aber dafür gleichmäßiges Tempo.
Für das Zeitfahrtraining ideal ist eine möglichst flache Strecke – am besten ein Rundkurs – auf dem man einige Kilometer ungestört Gas geben kann. Anfänger beginnen mit einer niedrigen Intensität und steigern wöchentlich die Belastung. Ein Programm für Einsteiger könnte in etwa so aussehen: 15 Minuten Einfahren im Grundlagenausdauerbereich 1. Dem schließen sich fünf vierminütige Intervalle im Grundlagenausdauerbereich 2 an – unterbrochen jeweils durch dreiminütige Erholungsphasen im Grundlagenausdauerbereich 1. Danach 15 Minuten Ausfahren. Mit zunehmender Zeit werden die Intervalle länger und häufiger wiederholt und die Intensität vom Grundlagenausdauer- in den Entwicklungs- und Spitzenbereich verschoben.
Wie könnte eine „Intervall-Fahrt“ Einheit aussehen?
Mit einer 20-minütigen Aufwärmphase im Grundlagenausdauerbereich (bis 75% des Schwellenwertes) beginnt die Einheit. Der Hauptteil besteht aus 6×6 minütigen Fahrten an und über des Schwellenwertes (96 bis 105 Prozent), die Erholungsphase – je nach Jahreszeit – 6 bis 8 Minuten. Ein 20-minütiges ausfahren beendet das Training.
Beispiel einer Zeitfahrintervall-Auswertung.
„Sweet Spot“ Training
Ein gutes Zeitfahrtraining kann auch mit der „Sweet Spot“ (Training unterhalb unseres Schwellenwertes) erreicht werden. Beim „Sweet Spot“ Training liegen die Puls- oder Wattwerte zwischen dem oberen Ende des 3. Trainingsbereiches und dem unteren Ende des 4. Der „Sweet Spot“ tritt bei 88 und 94 Prozent unserer Schwellenleistung auf und damit genau zwischen dem Tempo- und Laktatschwellen Bereich auf. Das ist genau der Punkt, an dem der Körper die zu langsame Fettverbrennung einstellt und nur noch schnell verfügbare Kohlenhydrate umsetzt. In vielen Radcomputern und Trainingsprogrammen wird die Schwelle als FTP (Functional Threshold Power) bezeichnet.
Wie könnte eine „Sweet Spot“ Einheit aussehen?
Einem 20-minütigen aufwärmen im Grundlagenausdauerbereich 1 (bis 68% des Schwellenwertes), folgt ein zügiger 5 Minuten Abschnitt bei dem 100 Prozent des Schwellenwertes der Körper auf die Belastung vorbereitet wird. Vor dem Hauptprogramm geht es weiter mit 5 Minuten rollen, bevor 2×20 Minuten bei 88 bis 94 Prozent der Schwellenleistung und einer 15-minütigen Erholungsphase anstehen. Das 20-minütige Ausfahren ist obligatorisch.
Fazit:
Mit einem optimierten Zeitfahrrad, einem guten und individuellen Zeitfahrtraining und dem Wissen um seine Schwellenleistung steht der Geschwindigkeit nichts mehr im Wege.
Bildnachweise: © Tobias Ganzmann
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„Das ist genau der Punkt, an dem der Körper die zu langsame Fettverbrennung einstellt und nur noch schnell verfügbare Kohlenhydrate umsetzt.“
Es werden IMMER Fett UND Kohlenhydrate „verbrannt“.
Es ändert sich nur das Verhältnis bei wechselnder Belastung.
Absolut (im Gegensatz zu protzentuell) ist die Fettverbrennung bei hoher Leistung also auch höher als bei niedriger.
Hallo,
vielen Dank für den Artikel. Ich habe eine Frage. Ihr beschreibt die Grundlage 1 in der „Intervall-Fahrt“ Passage mit bis zu 75% des Schwellenwerts. In der Beispieleinheit für „Sweet-Spot“ schreibt ihr GA1 bis 68% des Schwellenwerts.
Hat das ein ein Grund?
Gruß,
Simon
Hallo Simon,
bei der Grundlage bis 68 % des Schwellenwertes ist es eher ein einfahren. Beide Schwellenwerte können sowohl bei der Intervalleinheit und beim „Sweett Sport“ Training eingesetzt werden.
Viele Grüße
Tobias