Es kommt nicht auf das Bike an, sondern auf die Beine des Fahrers. Oder auf dessen Sitzposition. Eine ungünstige Sitzposition kann Probleme verursachen und die Leistungsfähigkeit einschränken. Beim Bikefitting wird der Mensch deshalb optimal auf sein Rennrad angepasst.

Taube Zehen, kribbelnde Finger, zwickende Knie oder ein wunder Po können das Resultat einer falschen Sitzposition auf dem Rennrad sein. Außerdem wird auch die eigene Leistungsfähigkeit durch die Position auf dem Bike beeinflusst. Wer optimal sitzt, fährt schneller und beschwerdefreier.

„Das Problem mit der Sitzposition fängt häufig schon bei der Wahl der Rahmengröße an“, sagt Diplom-Sportwissenschaftler Oliver Elsenbach von KOMSPORT in Köln (www.komsport.de). Der Diplom-Sportwissenschaftler Oliver Elsenbach betreut seit Jahren deutsche und internationale Rad-Profis wie Gerald Ciolek, Andre Greipel und die Profis vom Leopard Trek Team. Viele Radler kaufen sich ein Rennrad mit zu großem Rahmen. Ausschlaggebend dafür ist in der Regel die Innenbeinlänge. Mit diesem Maß sucht der Fachhändler die Rahmengröße aus, ohne zu berücksichtigen, dass mit jeder Größe nicht nur das Sitzrohr länger wird, sondern auch das Oberrohr.

Der Rahmen sollte passen

Die Sitzhöhe kann man zwar mit der Sattelstütze variieren, aber bei einem größeren Rahmen ist der Lenker durch das längere Oberrohr weiter vom Sattel entfernt. In begrenztem Umfang kann man das zwar mit einem kürzeren Vorbau korrigieren, aber damit verändert sich auch das Lenkverhalten des Rades. Ein extrem kurzer Vorbau ist daher alles andere als ideal.

Für die optimale Sitzposition auf dem Rennrad ist es also wichtig, dass man die richtige Rahmengröße kauft. Ansonsten bleiben die Möglichkeiten eines Bikefittings nur suboptimal. Soweit wäre also schon mal die Grundvoraussetzung geklärt.

Jetzt kann man sich von einem Experten auf sein Rad anpassen lassen. Bikefitting ist eine sehr individuelle Sache und erfordert anatomische und biomechanische Kenntnisse. „Beim Radfahren gibt es nämlich keine universelle Sitzposition, die für alle Gelegenheiten passt“, sagt der Radsport-Experte Oliver Elsenbach.

Die Sitzposition müsse vielmehr auf die individuellen, anatomischen Begebenheiten eines Fahrers, aber auch auf die Anforderungen der geplanten Touren angepasst werden. Ein Mountainbiker sitze völlig anders auf seinem Bike als ein Straßenradfahrer oder ein Zeitfahrer. Und der reine Zeitfahrer sitzt wiederum anders als ein Triathlet, so der Experte aus Köln.

Bike-Fitting Jörg Birkel

Es gibt drei Kontaktpunkte zwischen Mensch und Maschine

Bevor Oliver Elsenbach einen Kunden aufs Rad setzt, stehen ein paar orthopädische Vermessungen und Tests auf dem Programm. Bei der Einstellung der idealen Sitzposition konzentriert sich der Experte auf die drei Kontaktpunkte zwischen Mensch und Maschine: Lenker, Sattel und Pedale.

Vor allem den letzten Punkt lassen viele oft außer Acht, dabei sind die Pedale einen Schlüsselposition im Radfahren, weil hier die Kraft übertragen wird. Als erstes schaut sich Elsenbach daher die Füße seiner Kunden an, ermittelt Druckverhältnisse, mögliche Fehlstellungen und gleicht diese mit kleinen Keilen oder Einlagen aus.

Eine Fußfehlstellung hat nämlich Auswirkung auf die gesamte Körperstatik und beeinträchtigt den Kraftfluss. Und das betrifft eigentlich jeden. Kein Mensch ist wirklich symmetrisch, sondern hat durch einseitige Belastungen im Alltag, Stress oder Fehlhaltungen muskuläre Dysbalancen, die sich auf den Bewegungsapparat auswirken.

Fehlbelastungen summieren sich

Was im Alltag aber meist ohne Folgen bliebt, kann bei einer zyklischen Bewegung wie dem Radfahren zu erheblichen Problemen führen. Bei einer angenommenen Trittfrequenz von 80 Umdrehungen pro Minute beugt ein Radfahrer seine Beine pro Stunde jeweils 4.800 Mal. Bei 5 Stunden Training pro Woche, was mancher ja bereits an einem Sonntag auf den Tacho kriegt, summiert sich das Ganze dann auf 24.000 zusätzliche Beinbewegungen in der Woche.

Unser Körper ist zwar unglaublich anpassungsfähig, aber bei solchen Zahlen kann man sich leicht ausrechnen, dass eine kleine Fehlbelastung auf Dauer zu einem gesundheitlichen Problem heranwachsen kann.

Im nächsten Schritt werden die Cleats unter den Schuhen ausgerichtet. Die optimale Kraftübertragung findet auf der Achse zwischen Großzehen- und Kleinzehen-Grundgelenk statt. Genau an dieser Achse sollten die Pedalplatten ausgerichtet werden. Erst danach geht es beim Bikefitting aufs Rennrad.

Jetzt werden die Sitzhöhe und Sattelposition (Nachsitz) überprüft und eingestellt. Mit festen Beinwinkeln arbeitet Elsenbach jedoch nicht, weil seine langjährige Erfahrung gezeigt hat, dass es häufig zu Abweichungen kommt. Damit die Einstellung objektiv überprüfbar ist, setzt Elsenbach einen kalibrierten Radergometer ein.

Auf dem Cyclus 2 können relevante Parameter wie Leistungswerte (Watt), Puls und Trittfrequenz reproduzierbar ermittelt werden. So kann man die Auswirkung einer veränderten Sitzposition sofort überprüfen. Zudem hat das Gerät den Vorteil, dass man auf dem eigenen Rad vermessen wird. Bereits kleine Veränderungen im Millimeterbereich sind damit sofort spür- und sichtbar.

Die optimale Sitzposition ist ein Kompromiss

Im letzten Schritt werden die Lenkerhöhe und die Vorbaulänge geprüft. Letztlich ist das Ergebnis aber immer ein Kompromiss aus Komfort, Aerodynamik und Ergonomie. Eine aggressive Position auf dem Zeitfahrrad mag zwar aerodynamische Vorteile bringen, aber geht möglicherweise mit Leistungseinbußen einher, weil die Muskeln in einer extrem gebeugten Haltung nicht mehr optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden.

Eine absolut bequeme Sitzposition ermöglicht dagegen zwar eine gute Ergonomie, ist aber eben nicht besonders aerodynamisch. Maßgeblich für die meisten Fahrer sollte aber zunächst der Komfort sein. Wenn der Nacken nach einer Stunde auf dem Rad anfängt zu schmerzen oder der Hinten drückt, dann kann einem schon mal die Lust am Radfahren vergehen.

Fazit:

Der Gang zum Bikefitter lohnt sich nicht nur für Profis, sondern auch für Einsteiger, denn Fahrkomfort und Beschwerdefreiheit sind wichtig für den Fahrspaß. Zudem wird mit einer Sitzpositionseinstellung die Basis für Höchstleistungen gelegt.

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JÖRG BIRKEL
Jörg Birkel lebt und arbeitet seit 2013 auf Mallorca und bietet dort ganzjährig Sportreisen und Trainingslager an. Zuvor hat er an der Deutschen Sporthochschule in Köln studiert und mit einem Diplom als Sportwissenschaftler abgeschlossen. Im Anschluss an sein Studium hat sich Jörg als Sportjournalist selbstständig gemacht und über Trainings- und Ernährungsthemen geschrieben. Von 2003 bis 2009 war der passionierte Radfahrer und Fachbuchautor als Dozent an der Deutschen Sporthochschule tätig. Und seit dem 15. Oktober 2020 verstärkt er ilovecycling.de als Redakteur mit seinem Fachwissen.

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