Als ich im Januar 2016 von meinem Radsportfreund Zbig nach Andalusien eingeladen wurde, freute ich mich auf die Sonne, das Meer und die Berge. Und auf klare Luft und endlose Abfahrten, wie ich sie Ende 2014 auf der Sierra Nevada Umrundung kennen gelernt habe. Ich wusste, dass wir von unserem Standort Castell de Ferro auch die Runde zum Venta del Chaleco drehen konnten, dem Kaugummi-Anstieg der Sierra Nevada Umrundung mit wunderbaren Blicken auf den Beznar-Stausee. Von AP hatte ich vom Anglirú des Südens gehört, dem Peña Escrita, einer irrsinnig steilen Straße irgendwo oberhalb von Almuñecar, der ich natürlich auf den Grund gehen wollte. Und die sagenumwobene Cabra, die Hagen immer so in den Himmel hebt, wollte ich auch mit Zbig befahren. Einfach so.

Radsport Cycling Andalusien

Eins sei vorweggenommen: aus “einfach so” wurde nichts. Ohne vorher daran gedacht zu haben, wurde diese Woche die Geburtsstunde unseres Bergtrainings in Andalusien, ein frühes Höhenmeterfressen vom 18.-25. März.

Aber das war ja nicht geplant, und daher: ich bin einfach so hier. Eine Woche Radurlaub. Ohne Guide-Rucksack, ohne Verantwortung für eine Gruppe, nur Zbig und ich und das Rad. Und die Straße. In die Berge. Die einzige Woche, die familiär dafür zur Verfügung steht, ist die letzte Januarwoche, im tiefsten Winter also genau vor einem Jahr. In Berlin war es ähnlich kalt wie im Moment, da das Thermometer nachts an den -10 °C kratzt, und ähnlich grau.

Was für einen wunderbaren Empfang bereitet mir aber der blaue Himmel Andalusiens. Ein 19 Grad mildes Lüftchen vom Meer weht uns von hinten in Richtung Sierra de Lújar, als wir nur wenige Stunden nach meiner Landung in Málaga von Castell de Ferro aus aufs Rad steigen, und eine Einrollrunde nach Haza del Lino drehen.Haza ist eine Straßenkreuzung auf dem ersten Bergrücken auf 1280 m Höhe, zu der ungezählte Straßen aus allen Himmelsrichtungen führen, unsere mit wunderbaren Blicken hinunter aufs blitzende Meer, durch blühende Mandelbäume. Noch haben wir keine 20 km zurück gelegt, und schon haben wir 1300 Hm auf der Uhr, genießen einen Caffe solo in der Sonne und stürzen uns in die Abfahrt nach Albunyol. Weite Kurven, Abfahrtspaß und Flow ohne Ende. Die welligen 20 km am Meer entlang beschließen unsere Einrollrunde. High Five und gute Laune. So kann es weiter gehen.

Peña Escrita: Anglirú des Südens?

Aber so geht es nicht weiter. Zbig und ich haben viel vor in den nächsten Tagen. Gleich auf der ersten richtigen Etappe soll die Peña Escrita entdeckt und überprüft werden, ob der Beiname “Anglirú des Südens” nicht etwas übertrieben ist. 45 km haben wir Zeit, uns einzurollen, zunächst auf der Küstenstraße nach Calahonda, dann durch das breite Delta des Rio Guadalfeo an Salobreña vorbei nach Almuñecar und dann dem Rio Verde in Richtung Jete folgend. Rio Verde, hier ist der Name Programm. Das eng eingeschnittene Tal hält scheinbar die glühende andalusische Sonnenhitze gut ab und erzeugt eine unglaubliche Pflanzenvielfalt. In Torrecuevas, am römischen Akquädukt, fassen wir noch einmal Wasser, und dann steigt der Puls… noch im Stehen, denn jetzt folgen wir dem Hinweisschild zur Peña Escrita.

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Steil, hinunter, mörderisch steil durch die “Schlange”, einer grotesk eng gestaffelten Kehrenfolge, weiter steil durch die Avocado-Haine bis zu den Wasserspeichern. Endlich können wir etwas Luft holen. Schon gleich zu Beginn des 4 km langen Schlussanstiegs zittern mir schon die Oberarme. Es ist Ende Januar, ich bin ohne einen Kilometer Vorbereitung hierhergekommen, und Zbig fährt mir davon. Ich sehe nur noch den Riffelbeton der Kehren unter mir, die sich steiler und steiler durch den Bergzoo winden. Und oben eine sensationelle Aussicht auf das Mittelmeer.

Völlig zerstört schleiche ich nach der Abfahrt hinter Zbig her. Kaum auszuhalten diese 5 km von Torrecuevas nach Jete, wo wir lebensrettende Bocadillos und einen Caffe bekommen. Über Itrabo fahren wir zurück nach Castell de Ferro. 118 km mit 2.480 Hm hört sich machbar an. Aber mit einem Entsafter wie der Peña Escrita so früh im Jahr können wir uns heute Abend stolz auf die Schulter klopfen. Und todmüde ins Bett fallen.

Anderntags erkunden wir das kulturell reiche Gebiet der Alpujarras mit den weißen Dörfern. und fahren von hinten, von Orgiva nach Haza del Lino. Über uns thront die Sierra de Lújar, und Zbig will mich unbedingt hoch zerren. Aber das lasse ich mir lieber für später, lecke meine Wunden und rüste mich für die kommenden großen Aufgaben. Morgen wollen wir die Cabra erstürmen. Die Rohdaten sind nicht groß begeisternd: 1.274 m hoch, 31,7 km Anfahrt ab Almuñecar. Was kann da groß hinter stecken? Die Cabra – was steckt dahinter?

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Morgens fahren wir mit dem Auto nach Almuñecar, denn die Cabra soll nur unser Aperitif sein für die Umfahrung der Sierra de Tejeda, Almijara y Alhama, 170 km mit 2.900 Hm. Damit führe ich einen Scouting-Auftrag aus für Hagen, der die Runde in seine neu zugeschnittene Sierra-Nevada-Umfahrung einbauen will. Damit auch dort die Cabra gefahren werden kann. Cabra, Cabra, Cabra… nun gut. Schauen wir mal…

Den schönen Anfangsabschnitt durch das grüne Val Verde kennen wir schon von der Peña-Entdeckung. Diesmal erreiche ich Jete ohne Hungerast, und auch Otívar liegt schnell hinter uns. Schon befinden wir uns in einer kargen Gebirgslandschaft, mit großartigen Ausblicken in die umliegende Bergwelt, unter uns ein schmales Asphaltband ohne jeglichen Verkehr, begrenzt durch die typischen Sandsteinquader, die ich umso vieles mehr schätze als schnöde Leitplanken aus Stahl.Der Anstieg rollt gut, wir können uns den Grad des Schmerzes frei wählen.

Zbig, der in den letzten Wochen schon 2.500 km in seine Beine gefahren hat, wählt ein für ihn schmerzfreies, hohes Tempo. Schließlich ist der Tag noch lang. Die Felswände um uns herum werden immer gewaltiger, dann geht’s noch um zwei Kurven, und auf einmal steht sie da, diese Wand, unter der du dich einfach nur klein fühlst. Weil du klein BIST! Was für eine sensationelle Felswelt. Ich kenne keinen Anstieg in Europa, der so eine Abwechslung bietet. Unten fast tropische Verhältnisse, dann die karge Bergwelt, oben monumentale Felswände. Und hinter dem Kamm noch freie Blicke auf die tief verschneite Sierra Nevada. Genial! Das also steckt dahinter!

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Venta del Chaleco: eine alte, abwechslungsreiche und fordernde Bekannte

Natürlich wurde die Runde nach der Cabra noch lang, aber das Grinsen ging einfach nicht mehr aus unseren Gesichtern. Gestern haben wir uns dann den Luxus gegönnt, mit dem Auto ein Stück nach Velez de Benaudalla vor zu fahren. Es ist ja Januar. Der Anstieg zur Ruine, nach Los Guájares – auch einfach ein Traum. Wunderbare Blicke hinüber zur Sierra Nevada, und ein unerwartetes Scouting-Erlebnis: auf einer Übersichtstafel sehen wir eine durchgezogene Straße von Albuñuelas nach Jayena. Sollte diese Straße tatsächlich existieren, wäre die Cabra in eine deutlich kürzere Runde integrierbar. Wie aufregend! Zbig bekommt eine Hausaufgabe für seine letzte Woche hier.

Und schon steht unsere letzte Ausfahrt an. Nochmals eine lange Runde, 30 km am Meer entlang nach Adra, dann ins Hinterland zum Beznar-Stausee, und hoch zur Venta del Chaleco. Ein wunderschöner, fordernder, äußerst abwechslungsreicher und unrhythmischer Anstieg. Die Straße schlängelt sich äußerst pittoresk durch den lichten Nadelwald, und schließlich erheben sich die Gipfel der Sierra Nevada immer imposanter über der vorgelagerten Bergkette. Wow!

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Auf der Sierra Nevada Umrundung 2014 waren wir überrascht, als doch ein Dorf am Wegesrand auftauchte – Turón! Damals rettete uns der Ort im Nirgendwo am Ende unserer Wasservorräte, heute wissen wir um die kleine Bar mit sensationell großen Bocadillos. So gestärkt genießen wir die weitere Fahrt durch die Mandelblüte und die wechselnden Blicke Richtung Meer und Sierra Nevada. Am Venta del Chaleco beginnt eine km lange wellige Gratpassage, deren schönstes Stück entlang der Contraviesa kurz vor Haza del Lino verläuft.

Heute hatten wir nochmals alles, was Andalusien ausmacht: super Straßen, fordernde Anstiege ebenso wie schnelle Flow-Passagen und grandiose Tiefblicke hinunter zum Meer und in die Sierra Nevada. Und nach dem letzten Caffé in Haza noch eine berauschende Abfahrt zum Meer!

Impressionen:

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Mehr dazu erfährst Du unter: reisen.quaeldich.de

JAN SAHNER
Gründer und CEO von quaeldich.de und als solcher auf einer besonderen Mission: er motiviert seine Schäfchen mit seiner unvergleichlichen Art zu großen Taten im Rennradsattel. Von Zeit zu Zeit auch im Abendprogramm ganz stark!